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Wochenpresse zur Coronavirus-Epidemie

16. Mar. 2020

Obwohl die meisten Wochenzeitungen noch vor Bekanntgabe virusbedingter Schulschließungen (und eines ersatzweisen Unterrichts im Internet) durch Viktor Orbán in Druck gegangen waren, nehmen sämtliche Kommentatoren die Pandemie ernst, können sich aber politisch gefärbter Seitenhiebe nicht enthalten.

András Bencsik überschreibt seinen in Demokrata erschienenen Leitartikel mit den Worten: „Fremde sind nicht schön“. In einer Zeit, in der Länder nacheinander ihre Grenzen abriegeln würden, sei der altbekannte progressive Slogan „Fremde sind schön“ nicht mehr aufrechtzuerhalten. Überdies würden die Menschen davor gewarnt, Hände zu schütteln, ihre Liebsten zu küssen oder sich gar mit ihnen zu treffen. Dennoch, so der regierungsfreundliche Publizist, lasse sich die Pandemie nicht aufhalten, was angesichts von 16.000 sich ständig in der Luft befindlichen Flugzeugen ganz natürlich sei. Wenn auch nur einer von tausend ihrer Passagiere infiziert wäre, würden 2.000 von ihnen das Virus weltweit weitertragen.
Trotz drastischer Maßnahmen mehrerer Regierungen dürfte die rasche Ausbreitung des Virus kaum zu verhindern sein, glaubt der Chefredakteur des Wochenmagazins. Was Bencsik jedoch am meisten befürchtet, ist, dass die massive Verbreitung des Virus eines Tages eine Mutation hervorrufen könnte, die wirklich tödlich sein werde. Deshalb gehe die eigentliche Gefahr nicht vom Virus selbst aus, sondern vom für das moderne Zeitalter so charakteristischen umspannenden Netz des internationalen Austausches.
Aus diesem Grund finde die alte Methode, Menschen unter Quarantäne zu stellen, weltweit wieder Anwendung. Der Globalismus sitze in der Bredouille, resümiert Bencsik, hat aber selbst auch kein befreiendes Gegenrezept parat. Stattdessen fragt er: „Was sollen wir jetzt tun?“

In diesem Sinne geht auch Zoltán Szalai davon aus, dass die Coronavirus-Pandemie den vorherrschenden Konsens widerlege, wonach der Schlüssel zur Lösung der Probleme der modernen Welt die Globalisierung sei. Tatsächlich kehre sich die Welt vom Globalismus ab und wende sich dem Lokalismus, erklärt der Chef der Mandiner-Druckausgabe. Das sei eine schwierige Aufgabe, denn die von den Unternehmen aufgebauten Logistik-Ketten erstreckten sich von einem Ende der Welt bis zum anderen, wobei unverzichtbare Ersatzteile von China aus Richtung Europa und Nordamerika geliefert würden. Nach den Geschehnissen der letzten Wochen würden die Unternehmen in ihren Nachbarregionen nach Subunternehmern Ausschau halten, sagt Szalai voraus. Damit dürften Mittel- und Osteuropa in den Augen deutscher Unternehmer eine Neubewertung erleben.

Im Wochenblatt Magyar Hang notiert György Pápay, dass sich Verschwörungstheorien sogar noch rasanter verbreitet hätten als die Pandemie selbst. Die am weitesten verbreiteten würden die Schuld China, den Vereinigten Staaten, den Pharmariesen etc. in die Schuhe schieben. Der Kolumnist gibt sich erleichtert, dass solche primitiven Erklärungsversuche nicht in den politischen Mainstream gelangt seien, obwohl er die „regierungsnahe Propagandamaschine“ scharf kritisiert, denn sie stelle einen Zusammenhang her zwischen der Ausbreitung des Virus und der internationalen Migration. An dieser Stelle erinnert Pápay an frühere Deutungen der Regierung, die den Terrorismus mit der Migration in Verbindung gebracht hätten. Sie seien gleichermaßen fehlgeleitet. Nun habe die Coronavirus-Epidemie eine echte Krise ausgelöst und es bleibe zu hoffen, dass sie im öffentlichen Leben und im Diskurs für rationale Reaktionen sorgen werde.

In Heti Világgazdaság führt Márton Gergely den Star-Philosophen Slavoj Žižek an. (Der Slowene geht davon aus, dass der durch das Coronavirus verursachte Gesundheitsnotstand, die damit einhergehende Depression im Bereich der Wirtschaft sowie die von einer neuen Migrationskrise ausgehende Gefahr einen „perfekten Sturm“ ausgelöst hätten, der als ein komplexer Schock wirke – Anm. d. Red.)
Nicht weiter geht der liberale Autor allerdings auf Žižeks Äußerung ein, wonach „Putin und Erdogan die Europäische Union so lange infizieren wollen, bis sie einen dauerhaften Gesundheitsschaden davongetragen habe“. Er zitiert jedoch Žižek, der „in Viktor Orbán den lebenden Wirt des Virus identifiziert hat“. Dem Sturm am schutzlosesten ausgesetzt seien die zwischen der Türkei und Griechenland gestrandeten Flüchtlinge, die Gergely als „Biomasse“ in einem großen Machtspiel beschreibt.

Der Wirtschaftswissenschaftler Péter Mihályi hält die Schließung von Schulen für unklug. Der Autor hatte seine in Élet és Irodalom erschienene umfängliche Analyse der Viruskrise bereits Tage vor der am Freitag von Viktor Orbán abgegebenen Erklärung verfasst, in der der Ministerpräsident die Schließung von Schulen anordnete.
Nach Ansicht Mihályis sind in dieser Epidemie die Kinder selbst vor ernsthaften Symptomen relativ geschützt. Zwar trügen sie die Infektion nach Hause und seien somit wichtige Überträger der Pandemie. Würden jedoch Kindergärten, Kindertagesstätten und Schulen geschlossen, würden kleine Kinder deutlich längere Zeiträume in der Umgebung von Erwachsenen verbringen – also am Arbeitsplatz der Eltern, in Einkaufszentren sowie bei den Großeltern, was die Gefahr einer Ansteckung erhöhe. Teenager hingegen würden sich auch angesichts geschlossener Schulen weiterhin treffen.
Der liberale Wirtschaftswissenschaftler ist überzeugt, dass die Schließung von Schulen die Epidemie nur kurzfristig verlangsamen könne. Dieses Mal jedoch würden sie, anders als in einer Grippesaison, monatelang geschlossen bleiben, warnt Mihályi.

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