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Woche im Zeichen vom 100. Trianon-Jahrestag

8. Jun. 2020

Während im ganzen Land Feiern im Gedenken an die Unterzeichnung des Friedensvertrags von Trianon vor 100 Jahren abgehalten wurden, machen sich verschiedene Kommentatoren – darunter zahlreiche Historiker – Gedanken über Verpflichtungen und Folgen für die Zukunft.

In Népszava beklagt Krisztián Ungváry, dass ethnische Ungarn auch noch nach 100 Jahren Verdächtigungen und sogar Schikanen ausgesetzt seien. Der Historiker erinnert als Beispiel an einen Friedhof, auf dem ungarische Gräber geschändet wurden. Ob Ungarn zum Schutz der Rechte der Magyaren in Rumänien auf Konfrontationskurs gehen oder kapitulieren sollte, um die bilateralen Beziehungen zu verbessern, stelle ein schwieriges Dilemma dar, so Ungváry.

Auf der Internetpräsenz von Heti Világgazdaság kritisiert der Schriftsteller Rudolf Ungváry den Budapester Oberbürgermeister Gergely Karácsony. (Der Kommunalpolitiker aus den Reihen der Opposition hatte dazu aufgerufen, den Verkehr in der Hauptstadt für eine Minute ruhen zu lassen, um an den Verlust von zwei Dritteln des ungarischen Territoriums und des Nationaleinkommens zu erinnern – Anm. d. Red.) Der Vater des oben zitierten Historikers vertritt die Auffassung, dass ein Demokrat das Recht der Rumänen, Slowaken und anderer auf ihren eigenen Staat anerkennen sollte. Das impliziere, dass Großungarn – dessen eine Hälfte der Bevölkerung anderen Ethnien angehört habe – nicht aufrechtzuerhalten gewesen sei. Die ungerechte Behandlung der ethnischen Ungarn in jenen neuen Nachbarländern nach 1920 sei eine andere Sache und sollte angeprangert werden, schreibt Ungváry.

In der in Bratislava erscheinenden ungarischsprachigen Tageszeitung Új Szó äußert der Geschichtswissenschaftler László Szarka Vorbehalte gegen das vor dem Parlamentsgebäude in Budapest errichtete Trianon-Denkmal, wo die Namen magyarischer Siedlungen aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg in Granit verewigt wurden. Viele dieser Siedlungen seien zu Beginn des 20. Jahrhunderts umbenannt worden, als die ungarische Verwaltung ihnen ungarischsprachige Namen gegeben habe. Diese neuen Namen hätten nur bis zum Ende des Ersten Weltkrieges existiert und würden dieselbe Art von Intoleranz widerspiegeln, die Ungarn in den letzten 100 Jahren einigen Nachbarländern zu Recht vorgeworfen habe.

Auch Ignác Romsics glaubt, dass Ungarns Eliten zu egoistisch gewesen seien, als dass nationale Minderheiten die Zugehörigkeit zu Ungarn als positive Option hätten in Betracht ziehen können. Im Inforadio erinnert der renommierte Historiker etwa daran, dass sich diese Eliten geweigert hätten, den Slowaken lokale Autonomierechte zu gewähren. Vielmehr hätten sie darauf bestanden, dass in Ungarn „nur eine einzige politische Nation“ existiere.

Auf Mandiner bezeichnet es der Historiker Konrád Salamon als betrüblich, dass sich Regierungskreise die Rhetorik der Zwischenkriegszeit zu eigen machen würden, wonach Ungarns riesigen Gebietsverluste auf die aufeinanderfolgenden Revolutionen der Jahre 1918 und 1919 zurückzuführen seien. In Wirklichkeit, so erklärt Salamon, hätten sich die Entente-Mächte bereits 1916 verpflichtet, Siebenbürgen Rumänien, Nordungarn der Tschechoslowakei und Südostungarn Serbien einzuverleiben.

Róbert Puzsér wiederum gibt sich in einem Beitrag für Hírklikk davon überzeugt, dass die Erbsünde Ungarns der Kompromiss mit Österreich im Jahr 1867 gewesen sei. Damals sei Ungarn der Heiligen Allianz beigetreten, dem repressiven Block der Dynastien Österreichs, Russlands und Preußens. Diese Herrscher hätten sich verpflichtetet, Demokratisierungsversuchen entgegenzuwirken. Eine Folge: Mit dem Zusammenbruch des Habsburgerreichs sei Ungarn unter seinen Trümmern begraben worden, resümiert Puzsér.

Nach Ansicht von Csaba Zahorán würden die Klagen Ungarns über Trianon weltweit auf taube Ohren stoßen. Die meisten Menschen wüssten nicht einmal, dass Massen von ethnischen Ungarn in den Nachbarländern leben würden, so der Historiker in einem Interview mit 24.hu. Auf der anderen Seite werde Ungarn häufig als Unruhestifter betrachtet, der nie aufhöre, Probleme mit seinen Nachbarn zu haben. Was die Gründe dafür seien, bliebe der Welt weitgehend verborgen, schlussfolgert Zahorán.

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