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Wochenpresse zum EU-Rettungsfonds

27. Jul. 2020

Wochenmagazine sowie Wochenendausgaben von Tageszeitungen befassen sich mit den weitgefächerten Auswirkungen des EU-Rettungsfonds sowie des künftigen EU-Haushalts. Liberale Analysten sehen das Paket als einen Schritt in Richtung eines stärker vereinten Europas, während ein marxistischer Philosoph es als das Ende des europäischen Traums interpretiert. Konservative Kommentatoren halten das Abkommen für einen großen Sieg für Ministerpräsident Viktor Orbán.

Magyar Narancs begrüßt die Einigung über den EU-Rettungsfonds. Die EU könne künftig eine Politiklinie verfolgen, die Brüssel eine Bestrafung von Ländern gestatte, welche grundlegende demokratische Normen verletzen würden (siehe BudaPost vom 24. Juni). Die Leitartikler des liberalen Wochenmagazins heben hervor, dass die Europäische Kommission laut Vereinbarung Verfahrensregeln zur konkreten Bestimmung dessen ausarbeiten werde, was als Verletzung grundlegender EU-Normen anzusehen sei. Diese Regeln dürften es der EU dann ermöglichen, die Regierungen bestimmter Mitgliedsstaaten zu bestrafen – darunter auch die „mafiös geführte“ ungarischen Regierung, so Magyar Narancs.

Auch Péter Heil vermutet, dass je nachdem, welche Verfahren die Europäische Kommission ausarbeiten werde, das beschlossene Rettungspaket der Union eine starke Waffe in die Hände gebe. Mit dieser Waffe könne sie gegen Regierungen vorgehen, die grundlegende EU-Prinzipien missachten würden. In Élet és Irodalom vertritt der liberale Analyst daher die Auffassung, dass Ministerpräsident Orbán sein wichtigstes Ziel, nämlich die rechtsstaatliche Auflagenbindung aus dem Abkommen zu streichen, verfehlt habe.

In einem bitterbösen Text beschreibt der marxistische Philosoph Gáspár Miklós Tamás den EU-Gipfel als „das schmutzige Symptom des Verfalls des Spätkapitalismus“. In Heti Világgazdaság vergleicht Tamás die Einigung mit einem prinzipienlosen Kuhhandel, bei dem sämtliche Parteien von ihren eigenen finanziellen Interessen angetrieben worden seien. Tamás pflichtet Viktor Orbán insofern bei, dass im Rahmen des Geschäfts Werte nicht zuletzt wie Chips eingesetzt – jedoch überhaupt nicht ernst genommen worden seien. Laut Tamás zeigt das Abkommen, dass es der EU sowohl an Solidarität als auch an gemeinsamen Werten mangele. All dies deute darauf hin, dass die EU im Niedergang begriffen sei, sie ihr moralisches Ansehen verliere und zur Beute von „ethnisch-nationalistischer öffentlicher Meinung, Unternehmen, die als souveräne Staaten agieren, Interessengruppen und Mafias“ werde, echauffiert sich Tamás abschließend.

Ákos Zsoldos von Portfolio sieht den EU-Deal dagegen als Sprung Richtung einer föderalen Europäischen Union. Das Abkommen stärke die Position der zentralen EU-Organe, indem es bis dahin für unvorstellbar gehaltene gemeinschaftliche Ressourcen schaffe. Zsoldos vermutet, dass die Föderalisierung der EU ein langer und schrittweiser, aber unvermeidlicher Prozess sein werde, der auf lange Sicht eine starke Europäische Union schaffen könne, die sich zu einer einflussreichen wirtschaftlichen und geopolitischen Macht auf der globalen Bühne entwickeln dürfte.

In Magyar Hírlap interpretiert Dániel Kacsoh das Abkommen als einen Sieg für Ministerpräsident Viktor Orbán und ein völliges Versagen der ungarischen Linken. Der regierungsnahe Kolumnist erinnert daran, dass die DK-Europaabgeordnete Klára Dovrev die EU-Führung aufgefordert habe, bei den Rechtsstaatskriterien keine Kompromisse einzugehen. Letzten Endes habe Orbán jedoch gewonnen, und die vereinbarten Regeln machten es nahezu unmöglich, Ungarn durch die Anwendung einer verwässerten rechtsstaatlichen Konditionalität zu bestrafen. Nebenbei bemerkt sei es enttäuschend, dass Brüssel den NGOs im nächsten EU-Haushaltszyklus noch mehr Mittel zur Verfügung stellen werde, klagt Kacsoh, zeigt sich aber zuversichtlich, dass die ungarische Regierung bald eine Gesetzesinitiative ergreifen werde, die „die NGOs transparenter machen“ werde.

Ottó Gajdics von Magyar Nemzet lobt die Regierung: Sie habe den von einer geistlosen Zentralisierung verursachten Niedergang Europas gestoppt – und sei es auch nur für den Augenblick. Der regierungsfreundliche Kolumnist wirft der ungarischen Linken, den europäischen Eliten und linken NGOs vor, die christlichen, nationalen und konservativen Grundwerte Europas auslöschen zu wollen. Laut Gajdics ist der EU-Rettungsdeal ein vernünftiger Kompromiss, der zumindest die Föderalisierung der EU und die Schaffung der Vereinigten Staaten von Europa verlangsame. Für Gajdics ist es absurd, wenn jeder, der nicht mit der Vision der Linken von Europa übereinstimme, von ihr als Faschist und Nazi abgestempelt werde.

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