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Wochenpresse zur Kritik der Europäischen Kommission an der Rechtsstaatlichkeit

12. Oct. 2020

Der Opposition nahestehende Kommentatoren kritisieren, dass die Europäische Union bei der Durchsetzung ihrer Rechtsstaatlichkeitskriterien nach wie vor schwach aufgestellt sei. Regierungsnahe Kolumnisten wiederum verwerfen die Kritik aus Brüssel als diskriminierend und voreingenommen.

In seinem Leitartikel zum EU-Bericht über den Stand der Rechtsstaatlichkeit in Ungarn, veröffentlicht auf der Titelseite von Élet és Irodalom, geht János Széky auf den Unterschied zwischen dem angelsächsischen Rechtsstaatskonzept und dem sehr ähnlichen, aber weniger klaren deutschsprachigen Begriff „Rechtsstaat“ ein, der häufig ins Englische mit „legal state“ übersetzt wird. Széky zufolge hätten der Regierung nahestehende Beamte Recht mit ihrer Behauptung, dass letzterer in seinen Kriterien nicht klar definiert sei. Allerdings handele es sich hierbei im Falle Ungarns lediglich um Haarspalterei.
Statt zu sagen, dass es Probleme mit der Justiz, bei Maßnahmen gegen die Korruption und hinsichtlich des Medienpluralismus gebe, sollte die Europäische Union seiner Meinung nach erklären, dass in Ungarn keine liberale Demokratie existiere und die Regierung deren Existenz auch gar nicht wünsche. Vielmehr wäre es wohltuend, wenn die Europäische Union die Demokratie als solche verteidigen wolle, anstatt den Zustand ihrer einzelnen Komponenten zu diskutieren, notiert Széky.

Ganz ähnlich sieht es auch András Hont von Heti Világgazdaság. Auch er hält den Bericht der Europäischen Kommission über den Zustand der Rechtsstaatlichkeit in Ungarn für zu milde. Seiner Meinung nach hätte die Union in ihrer Sprache entschiedener sein müssen als mit Formulierungen wie „die engen Verflechtungen zwischen bestimmten nationalen Unternehmen sind der Korruption förderlich“, oder dass „die Transparenz im Bereich des Eigentums von Medien nicht vollständig gewährleistet ist“, oder auch, dass „die Medienkonzentration die Gefahren für den Medienpluralismus erhöht hat“.
In Wirklichkeit kontrolliere das Verfassungsgericht das Vorgehen des Staates nicht vollständig, bemängelt Hont. Folglich hätte er es für besser gehalten, wenn in dem Bericht die Nichtexistenz von Rechtsstaatlichkeit in Ungarn konstatiert worden wäre. Laut Hont wurden hierzulande „die geistigen Grundlagen“ der Rechtsstaatlichkeit im Herbst 2006 zerschlagen, als sich Ungarn „zu einem Kriegsschauplatz entwickelt hatte“. (Zu den unterschiedlichen Interpretationen der Straßenkonflikte im Herbst 2006 siehe beispielsweise BudaPost vom 2. November 2015).

In der Printausgabe von Mandiner bezeichnet Balázs Orbán die Klage der Europäische Kommission über einen gefährdeten Medienpluralismus in Ungarn als falsch. Der Bericht bringe die Besorgnis der EU über eine Stiftung zum Ausdruck, die mehrere hundert Medien betreibe, und mache geltend, dass eine solche Konzentration den Medienpluralismus gefährde.
Der stellvertretende Kabinettsminister im Amt des Ministerpräsidenten und nur ein Namensvetter seines Chefs argumentiert, dass diese ungarische Stiftung neben dem deutschen Bertelsmann-Konglomerat, das großen Einfluss auf die Europäische Kommission ausübe und 59 Fernseh- sowie 31 Radiosender in ganz Europa betreibe – darunter Ungarns Fernsehsender Nummer eins RTL Klub, geradezu zwergenhaft ausschaue. Viel sinnvoller wäre es dagegen, den Pluralismus daran zu messen, inwieweit kritische Botschaften die Bürger erreichten.
Orbán zitiert aus einer Studie des oppositionellen Think-Tanks Márték Média Műhely, aus der hervorgeht, dass die beiden großen kommerziellen Fernsehsender praktisch alle ungarischen Haushalte erreichen würden. Demnach verfügten die Ungarn über einen Zugang zu den Nachrichten von RTL. Der stellvertretende Kanzleramtsminister verweist auch auf Daten über die Reichweite oppositioneller und regierungsfreundlicher Medien, um zu belegen, dass die Zahl ihrer Konsumenten praktisch gleich groß seien.

In seinem wöchentlichen Leitartikel auf dem Webportal Demokrata kritisiert dessen Chefredakteur András Bencsik, dass die Europäische Union Fragen der LGBT-Community als ernsthafte Kriterien bei der Bewertung des Zustands der Rechtsstaatlichkeit in einem Land betrachten würde. Anders gesagt bedeute dies, dass das Vorhandensein der Rechtsstaatlichkeit davon abhänge, ob kleinen Kindern durch LGBT-Propaganda Schaden zugefügt werden könne.
Bencsik zitiert die Auffassung eines regierungsfreundlichen Kommentators, der auf diesem Feld einen Krieg toben sieht, der jedoch mit Hilfe von Märchen, NGOs und Zeitungsartikeln ausgefochten werde. (Zu der Kontroverse über ein Märchenbuch, in dem einige Helden schwul sind, siehe BudaPost vom 9. Oktober.) Bencsik wirft dem Westen vor, „abnormal als gut zu betrachten, während normal als verabscheuungswürdig erachtet wird“. Abschließend stimmt er Ministerpräsident Orbán zu, der Ungarn als ein tolerantes Land bezeichnet, aber auch geäußert hatte: „Lasst unsere Kinder in Ruhe!”

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