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Erste Kommentare zu Bidens Wahlsieg

9. Nov. 2020

Obwohl sich linksorientierte Beobachter während der Kampagne stark für Joe Biden engagiert hatten, sind sie mit Blick auf den Ausgang der Wahl dennoch nur mäßig optimistisch. Eine rechte Kommentatorin dagegen zeichnet ein ausgesprochen düsteres Bild – nicht nur über die Zukunft Amerikas, sondern vor allem hinsichtlich der Beziehungen Ungarns zu den USA.

Das Wochenmagazin 168 Óra war extra zwei Tage später als üblich in Druck gegangen, um die US-Wahlergebnisse nicht zu verpassen. Doch auch der neue Erscheinungstermin erwies sich noch immer als zu früh. Dessen ungeachtet konnte József Makai am Donnerstag klar und deutlich einen Sieg Joe Bidens konstatieren.
In seiner ersten Stellungnahme bezeichnet er die Behauptung Donald Trumps, die Demokraten hätten massiv betrogen, als völlig unbegründet, aber durchaus zum üblichen Stil des scheidenden Präsidenten passend. Immerhin habe Donald Trump bei den Wahlen recht bemerkenswert abgeschnitten. Man dürfe nicht vergessen, dass es dem Präsidenten offensichtlich nicht gelungen sei, die Coronavirus-Krise in den Griff zu bekommen. Zugleich habe die Pandemie die Wirtschaft auf Talfahrt geschickt. Logischerweise sei noch vor wenigen Tagen ein überwältigender Sieg Bidens erwartet worden. Stattdessen sei das Rennen extrem eng verlaufen.
Makai äußert sich schockiert über das Ausmaß an Hass, das er in den Reaktionen auf das Wahlergebnis beobachtet. Es sei verstörend, dass der Chef des Joint Chiefs of Staff, des Vereinigten Generalstabs, die wichtigsten Fernsehsender angeblich habe wissen lassen, die Streitkräfte würden im Prozess nach den Wahlen in keiner Weise eine Rolle spielen. Bereits der bloße Verdacht einer solchen Eventualität sei beunruhigend.
Nach dem Abschluss erneuter Auszählungen und der gerichtlichen Auseinandersetzungen müsse untersucht werden, welche Prozesse sich in den Tiefen der amerikanischen Gesellschaft abspielen würden, fordert Makai.

Gábor Horváth atmet angesichts des Wahlergebnisses spürbar auf und begrüßt unter der Überschrift „Der Albtraum ist vorbei“ den Sieg Bidens. Der Präsident der Vereinigten Staaten werde nun ein ausgeglichener, intelligenter und verantwortungsbewusster Mensch sein und kein „korrupter, habgieriger Hochstapler“. Auf der anderen Seite räumt der Außenpolitikchef der linken Tageszeitung Népszava ein, dass Präsident Trump von enormen sich vernachlässigt fühlenden Menschenmassen unterstützt worden sei – ein Ausdruck der tiefgehenden Probleme, die Amerika anpacken sollte. Auch verweist Horváth darauf, dass es Präsident Biden schwer fallen werde, angesichts eines weiterhin in republikanischen Händen befindlichen Senats seine politische Agenda durchzusetzen. Zudem werde die Pandemie nicht sehr bald verschwinden, und sich das Land bis dahin auf Zwischenwahlen vorbereiten, die ein Vorspiel zu den Präsidentschaftswahlen in vier Jahren sein dürften. Es stelle sich die Frage, ob der Albtraum ein für allemal vorbei sei oder er ein Comeback erleben könnte.

Auf Azonnali interpretiert Balázs Karóczkai das Ergebnis der US-Wahlen als Sieg für Joe Biden, nicht aber für die Demokratische Partei. Sie habe Sitze im Repräsentantenhaus eingebüßt und den Senat nicht erobern können. Darüber hinaus würden 26 der 50 Bundesstaaten von Republikanern regiert, und die GOP verfüge in 29 gesetzgebenden Körperschaften über eine Mehrheit. Unter solchen Bedingungen könne Biden praktisch nur die Änderungen durchsetzen, die auch für die Republikaner akzeptabel seien, sagt Karóczkai voraus. Das verheiße nichts Gutes für die zentralen Prunkte seines Programms, darunter die Reduzierung der CO2-Emissionen, der Ausbau erneuerbarer Energien oder die Polizeireform.

In ihrer Analyse für die Samstagsausgabe von Magyar Hírlap erkennt Mariann Őry den Sieg von Joe Biden noch immer nicht vollständig an. Allerdings spiegelt ihre gesamte Analyse die Annahme wider, dass der demokratische Kandidat der nächste Präsident sein werde. Tatsächlich prognostiziert sie ungünstige Entwicklungen in den Beziehungen zwischen den Regierungen in Washington und Budapest.
Őry erinnert daran, dass unter Präsident Obama das US-Außenministerium sowie die amerikanische Botschaft in Budapest der ungarischen Regierung offen kritisch gegenübergestanden und sich führende amerikanische Diplomaten in der ungarischen Hauptstadt in aller Öffentlichkeit ungewöhnlich kritisch über die Politik der Regierung von Viktor Orbán geäußert hätten. Der Chargé d’affaires habe sogar einmal an einer Demonstration der Opposition teilgenommen.
Unter Präsident Trump hingegen habe sich eine Art politische Chemie zwischen den beiden Führern entwickelt. Der gerade aus dem Amt scheidende US-Botschafter habe die Regierung nie öffentlich kritisiert, notiert Őry und schlussfolgert: Das politische Schicksal Ungarns – was auch immer geschehe – werde im Innern des Landes entschieden.

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