Regierung gründet öffentliche Stiftungen
3. May. 2021Oppositionsnahe Kommentatoren verurteilen unisono ein neues Gesetz, das staatliche Universitäten unter die Kuratel öffentlicher Stiftungen stellt.
Das sogenannte Kardinalgesetz (das nur mit parlamentarischer Zweidrittelmehrheit geändert werden kann) gilt nicht nur für Universitäten, sondern auch für andere Einrichtungen – überwiegend aus dem Bildungs- und Kultursektor –, die ebenfalls von Stiftungen geführt werden sollen, die ihr eigenes Vermögen verwalten. Laut Schätzung der Tageszeitung Népszava dürften die neuen öffentlichen Einrichtungen ein Stiftungsvermögen von über 1.000 Milliarden Forint (umgerechnet etwa 2,8 Milliarden Euro) erhalten. In seinem regelmäßigen Freitagsinterview mit Kossuth Rádió hatte Ministerpräsident Orbán erklärt, dass die Umstrukturierung des Hochschulwesens die Qualität der Bildung erhöhen und den Universitäten mehr Autonomie gewähren werde, da die Stiftungen unabhängiger von der Regierung agieren würden. Was die Zusammensetzung dieser Gremien betrifft, fügte Orbán hinzu, dass die Universitäten der nationalen Souveränität und Identität dienen müssten. Aus diesem Grunde sollten Personen, die „internationalistische und globalistische“ Ansichten vertreten, nicht in den Universitätsgremien aktiv sein.
In einer apokalyptischen Vision sagt János Széky voraus, dass die Taktik des Fidesz schließlich zu einer Revolution in Ungarn führen könnte. In Élet és Irodalom äußert der liberale Analyst die Befürchtung, dass die Regierung einen „tiefen Staat“ errichte, indem sie öffentliches Eigentum in Stiftungen überführe. Diese Stiftungen würden von Vorständen beaufsichtigt, in denen Fidesz-Politiker sowie mit der Regierungspartei sympathisierende Intellektuelle und Geschäftsleute säßen. Solche Strukturen würden es dem Fidesz ermöglichen, praktisch auch im Falle einer Wahlniederlage 2022 an der Macht zu bleiben. Da die Oppositionsparteien auch bei einem Wahlsieges nicht die Macht haben würden, das Land effektiv zu regieren, könnte in Ungarn eine Revolution ausbrechen, spekuliert Széky.
In einem Interview mit Válasz bezeichnet András Jakab die Gründung von Stiftungen, die riesige Mengen an öffentlichem Eigentum verwalten würden, als beispiellos. Der konservative Verfassungsrechtler befürchtet, dass die neuen Regelungen den Staat und damit auch die demokratische Kontrolle schwächen könnten, indem staatliche Aufgaben an vom Staat unabhängige Organisationen ausgelagert würden.
Auf Azonnali interpretiert auch Donáth Szűcs die Gründung von öffentlichen Stiftungen als einen Versuch des Fidesz, sich an der Macht zu halten, selbst wenn er die nächste Wahl verlieren sollte. Was die weiteren Auswirkungen betrifft, so geht Szűcs nicht davon aus, dass die Wähler durch neue Vorschriften übermäßig beunruhigt sein dürften. Die Ungarn hätten gelernt, dass sie ihr Leben einfacher meistern könnten, wenn klar sei, wer letztendlich das Sagen habe. Die Ungarn würden möglicherweise sogar die Privatisierung von öffentlichem Eigentum oder die Gründung von durch politische Akteure geführten öffentlichen Stiftungen bevorzugen. Immerhin ließen derlei Arrangements wenigstens keinen Zweifel daran, wer der Chef sei – im Gegensatz zu öffentlichem Eigentum und staatlicher Vermögensaufsicht, argumentiert Szűcs.
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