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Schwierige Beziehungen zum Post-Merkel-Deutschland

13. Dec. 2021

Rechtsorientierte Analysten befürchten, dass die neue links-liberale deutsche Regierung Ungarn scharf kritisieren und versuchen werde, auf die nationale Souveränität einzuwirken. Linke Kommentatoren sind sich nicht so sicher, ob Deutschland Ungarn gegenüber kritischer sein werde als unter Kanzlerin Angela Merkel.

László Szőcs von Magyar Nemzet befürchtet, dass sich die deutsch-ungarischen Beziehungen noch schwieriger gestalten dürften als bisher schon. Der regierungsnahe Kolumnist macht Angela Merkel für den Sieg der Linken verantwortlich. Sie habe konservative Werte aufgegeben sowie eine zuwanderungsfreundliche Politik betrieben. Die Scholz-Regierung setze diese Linie fort und werde auch die Gender-Theorie offen unterstützen und versuchen, die Vereinigten Staaten von Europa zu schaffen. Szőcs stellt fest, dass Annalena Baerbock, die neue grüne Außenministerin, wahrscheinlich eine noch vehementere Kritikerin der ungarischen Regierung sein werde als Bundeskanzler Scholz.

Auch Péter G. Fehér geht davon aus, dass die neue deutsche Regierung und insbesondere Außenministerin Baerbock versuchen würden, Ungarn und Polen eine Lektion zu erteilen. Der regierungsfreundliche Kommentator hält es für bedenklich, dass die deutsche Außenpolitik von einer radikalen Grünen-Politikerin ohne Sachverstand bestimmt werde. In Magyar Hírlap pflichtet Fehér dem Vorsitzenden der polnischen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit, Jarosław Kaczyński, bei, wonach Annalena Baerbocks Hauptziel in der Schaffung eines „Vierten Reichs“ bestehe.

„Die neue Regierung in Berlin betrachtet ganz Europa als deutschen Lebensraum“, behauptet Botond Bálint von Pesti Srácok. Der regierungsfreundliche Blogger vertritt die Auffassung, dass sich Deutschland trotz seiner starken Wirtschaft zum „kranken Mann Europas“ entwickelt habe, und zwar aufgrund des demografischen und gesellschaftlichen Niedergangs infolge massenhafter Zuwanderung. „Geleitet von einem Gefühl der Überlegenheit“ werde Deutschland Europa dominieren und andere Nationen zu seiner Kolonie machen, indem es ihnen seine LGBTQ- und pro-islamische Ideologie aufzwinge. Bálint versteigt sich gar zu der Prognose, dass die neue deutsche Regierung bei solchen Bestrebungen genauso vehement handeln werde wie Hitler.

Dániel Kacsoh kritisiert auf Mandiner ebenfalls sowohl die „über-progressive“ Absicht der Regierung in Berlin, Europa zu föderalisieren, als auch ihr Bekenntnis zu den Rechten von LGBTQ. Der regierungsnahe Blogger von vermutet, dass die neue deutsche Regierung Europa erneut regieren wolle – diesmal allerdings mit anderen Werten als zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Besonders traurig sei, dass Ungarns Oppositionsparteien die Werte der neuen deutschen Regierung hochhalten und deren Bemühungen begrüßen würden, die nationale Souveränität Ungarns zu schwächen, so Kacsoh.

András Vas, Kolumnist von Népszava, findet den Hinweis des Fidesz-Vize Szilárd Németh, Ungarn stehe unter der neuen deutschen Regierung vor ähnlichen Herausforderungen wie 1944, widerlich. (Németh, der auch Staatssekretär im Verteidigungsministerium ist, hatte erklärt: Die neue deutsche Regierung wolle die nationale Identität beseitigen, Familien samt christlicher Werte zerstören, Europa in ein Land von Migranten umwandeln sowie ein neues Reich in Europa schaffen. Zu diesem Zweck werde sie die Nationalstaaten ihrer Souveränität berauben – Anm. d. Red.)
Vas hält es für besonders geschmacklos und absurd, die demokratisch gewählte Regierung von Ungarns wichtigstem Wirtschaftspartner mit Nazi-Deutschland zu vergleichen, das 1944 in Ungarn einmarschiert sei und Hunderttausende ungarische Juden „mit aktiver Hilfe der ungarischen Behörden“ ermordete habe.

In der gleichen Tageszeitung warnt Tamás Rónay die Regierenden in Budapest davor, einen kämpferischen Ton gegenüber der neuen deutschen Führung anzuschlagen. Antideutsche Verschwörungstheorien mögen die ungarischen Wähler täuschen, aber sie dürften auch die deutsche Regierung irritieren und sie noch entschlossener machen, auf eine Kürzung der EU-Gelder für Ungarn zu drängen, warnt der linke Analyst.

Im Wochenmagazin 168 Óra stellt Richard Szentpéteri Nagy die Frage in den Raum, ob sich die neue deutsche Regierung wohl aktiver für die Verteidigung demokratischer Werte und die Bekämpfung der Korruption in Ungarn einsetzen werde. Der linke Kolumnist glaubt an die Existenz einer stillschweigenden Abmachung zwischen Deutschland und der ungarischen Regierung: Solange Budapest deutsche Fabriken im Land subventioniere, würden Berlin und die Wähler ihre Augen vor der Korruption und dem „demokratischen Niedergang in Ungarn“ verschließen.
Szentpéteri Nagy vermutet, dass die neue Bundesregierung wahrscheinlich eher bereit sei, zur Verteidigung der Demokratie einzugreifen – aber selbst wenn sie sich dazu entschlösse, wäre es zu spät, da die Regierung Orbán seiner Meinung nach die Ungarn erfolgreich gegen Europa aufgebracht und „gleichzeitig die europäischen Steuerzahler ausgeraubt“ habe.

Dagegen hat Gergely Prőhle, ehemaliger Botschafter Ungarns in Berlin, in einem Interview mit Inforádió eine Kehrtwende in der deutschen Außenpolitik als unwahrscheinlich bezeichnet. Prőhle geht davon aus, dass Bundeskanzler Olaf Scholz dem Pragmatismus seiner Vorgängerin folgen und Deutschland trotz der progressiven Werte der neuen Regierung radikale ideologische Forderungen abschwächen werde. Mit Blick auf die bilateralen Beziehungen zeigt sich Prőhle optimistisch: Die Regierung Scholz werde die Aufrechterhaltung guter wirtschaftlicher Beziehungen als ihre Priorität betrachten.

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