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Streit um christliche Werte in der Politik

5. Sep. 2022

Eine linke und zwei Stimmen aus dem konservativen Spektrum vertreten diametral entgegengesetzte Ansichten über die Rolle christlicher Werte in der Politik.

In Magyar Nemzet fordert Sándor Faggyas die Christen auf, bei der Volkszählung 2022 ihre Religionszugehörigkeit anzugeben. Der konservative Kolumnist erinnert daran, dass die Ungarische Atheistische Gesellschaft die Bevölkerung ermutigt habe, im Fragebogen zur Volkszählung das Kästchen „Atheist“ in der Hoffnung anzukreuzen, dass der Anteil der religiös gebundenen Bevölkerung von 54,2 Prozent im Jahr 2022 auf unter 50 Prozent falle. Nach Ansicht der Ungarischen Atheistischen Gesellschaft könnte dies die Abgrenzung zwischen Staat und Kirche in Ungarn deutlicher hervorheben. Faggyas räumt ein, dass die Zahl der sich zu einer Religion bekennenden Ungarn seit 2002 zurückgegangen sei. Jedoch handele es sich bei vielen derjenigen, die bei der Volkszählung nicht auf die Frage nach der Religion geantwortet hätten, um nicht praktizierende „kulturelle Christen“. Mögen aktive Christen sie davon überzeugen können, dass ein Bekenntnis zur ihrer Religionszugehörigkeit ihre moralische Pflicht sei, so Faggyas.

In der Tageszeitung Népszava wirft die ehemalige MSZP-Vorsitzende Ildikó Lendvai der Regierung vor, nicht-religiöse Ungarn als Bürger zweiter Klasse zu betrachten. Lendvai zufolge suggeriert die Regierung, dass Menschen ohne religiöse Überzeugungen auch keine starken moralischen Verpflichtungen haben können. Zudem würden Fidesz-Politiker glauben, dass ihre Macht von Gott und nicht vom Volk komme. Der Fidesz habe mit religiösen Ideen nicht viel im Sinn, sondern wolle die christliche Rhetorik für politische Zwecke nutzen – und zwar, um seine Anhänger zu einen und die eigene moralische Überlegenheit zu suggerieren, indem er nicht-religiöse Wähler und Liberale der Unmoral bezichtige, behauptet Lendvai.

Der Fidesz-Abgeordnete und stellvertretende Parlamentspräsident János Latorcai vertritt die Auffassung, dass die christliche Identitätspolitik für die Überwindung der politischen Polarisierung in den heutigen Gesellschaften von entscheidender Bedeutung sei. Die traditionelle ideologische Trennung zwischen rechts und links sei durch die Spaltung in globalistische Liberale und christliche Demokraten ersetzt worden, schreibt Latorcai im Wochenmagazin Magyar Demokrata. Während die Globalisten die Rechte des Einzelnen und den Unternehmenskapitalismus verteidigten, stünden die Christdemokraten für die traditionelle linke Wohlfahrtspolitik und die nationale Souveränität ein. Und Latorcai fährt fort: Die fortschrittliche Identitätspolitik der Wachsamkeit („Woke“) sei ein wichtiges Element des globalistischen Paradigmas und diene dazu, die nationale Solidarität zu schwächen. Um traditionelle Werte – darunter auch die der Aufklärung und der freien Meinungsäußerung – zu verteidigen, müssten Gesellschaften christliche Werte befürworten, meint Latorcai. In pluralistischen Gesellschaften könnten nur christliche Normen eine Alternative zur globalistischen liberalen Ideologie sowie eine solide Grundlage für den sozialen Konsens in den Nationalstaaten bieten, so Latorcai abschließend.

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