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Russland-Sanktionen und Ukraine-Krieg im Spiegel der Wochenpresse

10. Oct. 2022

Während die ungarische Regierung aktuell eine weitere „nationale Konsultation“ vorbereitet, in der es um die vom Westen gegen Russland verhängten Sanktionen geht, vertreten Kommentatoren diametral entgegengesetzte Ansichten zum Krieg im nordöstlichen Nachbarland.

In einem Artikel für die Wochenzeitung Élet és Irodalom wirft Dániel Gyenge dem Westen vor, er habe zu spät auf die zunehmend autokratische und aggressive Politik des russischen Präsidenten Wladimir Putin reagiert. Die Vereinigten Staaten von Amerika und der Rest des Westens hätten 2008 im Grunde genommen nur verbal auf die militärischen Eroberungen Russlands in Georgien reagiert. Damit sei Präsident Putin sechs Jahre später zu einem ähnlichen Vorgehen in der Ukraine ermutigt worden, argumentiert der Autor. Diesmal jedoch fielen die Reaktionen entschlossener aus. Gyenge stellt den Krieg und die Sanktionen in einen Zusammenhang, den er als die Auseinandersetzung zwischen einem System des freien internationalen Handels auf der einen und Mächten, die kleinere Länder in wirtschaftliche Abhängigkeit zwingen wollten, auf der anderen Seite kennzeichnet. Das erstgenannte System gedeihe im Frieden, während das zweite in den Krieg führe. Die Sanktionen, so unterstreicht Gyenge, dienten zur Bestrafung des Aggressors sowie dazu, ihn von künftigen Aggressionen abzuhalten.

Árpád W. Tóta von Heti Világgazdaság bezeichnet die von der Regierung geplante „nationale Konsultation“ zur Sanktionsproblematik als total nutzlos und fragt sich verärgert, woher die Behörden das Geld für die Durchführung der Konsultation nehmen würden, während sie gleichzeitig den öffentlichen Dienst zur Aussetzung sämtlicher Zahlungen bis Ende Oktober angewiesen hätten, wovon lediglich die Gehaltsüberweisungen ausgenommen seien. Zugleich wirft der Publizist der Regierung vor, „Entschuldigungen für Kriegsverbrecher ausfindig zu machen und alles zu tun, um die russische Diktatur zu unterstützen“. Tóta beklagt, dass das ungarische Volk möglicherweise genau diese bedauerliche Haltung erwarte. Sollte das so sein, würden die intelligenten Menschen das Land verlassen. Zurück blieben die Dummen, „deren einzige Waffe die nationale Konsultation ist“, echauffiert sich Tóta in einer düsteren Vorausschau.

András Bencsik blickt zurück auf die Veränderungen seiner eigenen Haltung gegenüber den Großmächten in den letzten Jahrzehnten: Während der 90er-Jahre, schreibt der Chefredakteur des Wochenmagazins Demokrata in der ersten Person Plural, sei Amerika „unser“ Leitbild gewesen, während wir damit beschäftigt gewesen seien, Russland so schnell wie möglich abzuschütteln. Zuzugeben, dass wir die Russen heutzutage immer weniger als Aggressoren betrachten würden, sei schmerzlich. „Wir wissen, wer wen angegriffen hat“, räumt Bencsik ein. Allerdings vergisst er nicht, den russischen Präsidenten Wladimir Putin zu zitieren, der den Ukraine-Krieg als seinen Kampf gegen die westliche Hegemonie bezeichnet hatte. Unabhängig davon, was man über den Krieg in der Ukraine denke, sei das goldene Zeitalter Europas vorbei und der bevorstehende harte Winter werde den Menschen die Augen dafür öffnen, dass der Wohlstand der Vergangenheit angehöre, warnt Bencsik und konstatiert: Um zu überleben, müssten die Länder in der Lage sein, ihre eigenen Interessen zu artikulieren und zu schützen.

Ungarn bliebe im Gegensatz zu vielen anderen europäischen Ländern keine Alternative, als russisches Gas, Öl und Uran zu nutzen, wolle es nicht ohne Licht, Heizung und mit einer zum Erliegen gekommenen Industrie dastehen, schreibt Attila Demkó in Mandiner. In dieser und vielen anderen Fragen seien die Ungarn in zwei Lager gespalten. Trotzdem sei es nicht wirklich tragisch, sollten derlei Diskussionen ausarten – „wir reden vielleicht eine Zeit lang nicht miteinander, aber das ist auch schon alles“. Eine solche unversöhnliche Opposition auf internationaler Bühne hingegen sei von ganz anderem Kaliber, mahnt Demkó. Die jüngste Rede Wladimir Putins wertet der Autor als eine regelrechte Kriegserklärung an den Westen. Mit Bedauern verweist er auf eine Äußerung des ehemaligen CIA-Direktors David Petraeus. Der General hatte vor einem direkten Angriff der Vereinigten Staaten auf die russischen Streitkräfte gewarnt, sollte Russland taktische Atomwaffen in der Ukraine einsetzen. Rationalität sei heutzutage Mangelware und die Folgen könnten verheerend sein, schlussfolgert Demkó mit Blick auf diese Entwicklungen.

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