Ungarns Aussichten auf EU-Gelder im Spiegel der Wochenpresse
28. Nov. 2022Wochenzeitungen und Wochenendausgaben von Tageszeitungen erörtern die Frage, ob – und falls ja – wann Ungarn Zugang zu den ausgesetzten EU-Mitteln erhalten wird.
Die Regierung spiele ein riskantes Spiel, indem sie die Bedeutung der Erklärung des Europäischen Parlaments, in der das Einfrieren der ungarischen Gelder gefordert werde, herunterspiele, notiert Attila Tibor Nagy. In Magyar Hang räumt der linke Analyst ein, dass die Entschließung des Europäischen Parlaments rechtlich nicht bindend sei und ein endgültiger Beschluss von der Europäischen Kommission getroffen werde. Allerdings dürfte das Parlament Druck auf die Kommission ausüben und könne ihr sogar mit einer allumfassenden Entlassung drohen. Nagy wirft der Regierung „unverschämte Angriffe“ auf Brüssel vor, die für den Erhalt von EU-Geldern nicht hilfreich seien und die EU-kritische Stimmung unter den Fidesz-Wählern noch verschärfen könnten.
János Dobszay erkennt in der Entschließung des Europäischen Parlaments, in der das Einfrieren von Finanzmitteln für Ungarn gefordert wird, einen Vorboten für weitere Auseinandersetzungen mit der Union. In Heti Világgazdaság vertritt der liberale Publizist die Ansicht, dass die ungarische Führung durch ihr Veto gegen einige EU-Beschlüsse sowie die „unzureichenden Bemühungen“ der Regierung hinsichtlich der Umsetzung der Rechtsstaatlichkeitskriterien das Vertrauen der EU in Ungarn erschüttert habe.
Seit ihrem Austritt aus der Europäischen Volkspartei könne sich der Fidesz nicht mehr vor kritischen Resolutionen im EP schützen, notiert Dobszay und sagt voraus, dass die Europäische Kommission kein grünes Licht für die Überweisung der ausgesetzten Gelder geben werde. Vielmehr werde sie mit Hilfe einer permanenten Überwachung und durch das Knüpfen jeglicher Zahlungen an die Einhaltung der EU-Normen die Budapester Regierung disziplinieren. Da die ungarische Wirtschaft ohne EU-Gelder in die Knie gehen würde, habe Ministerpräsident Orbán keine andere Wahl, als sich im Interesse seines Überlebens widerwillig zu fügen, sagt Dobszay voraus.
In Magyar Demokrata äußert sich Attila Kovács, Forschungsdirektor der regierungsnahen Denkfabrik Zentrum für Grundrechte, zum Thema. Er zeigt sich überzeugt, dass es zu einer Einigung kommen und Ungarn die eingefrorenen EU-Gelder erhalten werde.
Nach Ansicht des konservativen Analysten ist der ganze Streit zwischen Ungarn und der EU das Ergebnis von Attacken der progressiven europäischen Linken auf Ungarn, das versuche, seine Grenzen vor illegaler Migration zu schützen und Kinder vor der LGBTQ-Ideologie zu bewahren. Die ungarische Regierung habe bei der Verteidigung ungarischer Interessen nie den Versuch unternommen, die europäische Einheit zu schwächen oder grundlegende europäische Werte wie Medienfreiheit und Rechtsstaatlichkeit zu verletzen. Kovács ergänzt: Die ungarische Regierung habe sämtliche von der Union geforderten Maßnahmen zur weiteren Auszahlung von EU-Geldern komplett umgesetzt. Das zeige, dass Budapest zu Kompromissen bereit sei.
Ungarn werde ungeachtet von Versuchen der ideologisch motivierten liberalen und linken Abgeordneten des Europäischen Parlaments, „einen Keil zwischen die EU und Ungarn zu treiben“, bald seinen Anteil erhalten und könne diesen in der Folge einsetzen, um die Familienzuwendungen zu verbessern, die Lehrergehälter zu erhöhen und die Ungarn mit billiger Energie zu versorgen, ist Kovács zuversichtlich.
Auch Zoltán Lomnici Jr. beschuldigt in einem Gastbeitrag für die Tageszeitung Magyar Nemzet das Europäische Parlament, es wolle die Einheit der EU schwächen. Der konservative Verfassungsrechtler erinnert daran, dass einigen von denjenigen Parlamentariern, die Ungarn bestrafen wollten, Lobbyarbeit für multinationale Konzerne vorgeworfen werde. Zudem bezichtigt Lomnici das Europaparlament des Versuchs, seine Macht auszuweiten und diejenige der Europäischen Kommission und des Rates der Europäischen Union zu schwächen. Solche Bemühungen, so Lomnici, würden die Einheit der gesamten EU schwächen und ihre geopolitische Macht untergraben.
In Magyar Hírlap kritisiert László Csizmadia linksorientierte ungarische Europaabgeordnete: Sie hätten für die Entschließung des Europäischen Parlaments gestimmt, in der das Einfrieren der ungarischen EU-Mittel gefordert werde. Der Gründer der regierungsnahen Nichtregierungsorganisation CÖF versteigt sich gar zu dem Vorwurf, das gesamte Europäische Parlament diene den Zielen der imperialistischen Vereinigten Staaten, die die nationale Souveränität vernichten wollten, um Europa zu kolonisieren. Csizmadia hofft, dass die Wähler zur Vernunft kommen und bei den Wahlen zum Europaparlament im Jahr 2024 gegen derlei Bestrebungen unterstützende Parteien stimmen würden.
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