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Gesperrte EU-Gelder im Spiegel der Wochenpresse

5. Dec. 2022

Vier oppositionelle Wochenzeitungen machen die Regierung dafür verantwortlich, dass zumindest ein Teil der für Ungarn bestimmten EU-Transfers verloren zu gehen droht. Ein regierungsfreundlicher Kommentator führt die Aussetzung der Zahlungen durch die Europäische Union auf die politische Arroganz ihrer Führer zurück.

In der Frage, was mit den ausbleibenden EU-Transfers geschehen soll, beschreibt Zoltán Farkas in Heti Világgazdaság die Stimmung der Ungarn, die Ministerpräsident Viktor Orbán nicht mögen, als zwiegespalten. (Die Europäische Kommission hatte Ungarns COVID-Sanierungsprogramm akzeptiert, aber vorgeschlagen, die Zahlungen auszusetzen, bis ihre rechtsstaatlichen Bedenken ausgeräumt sind. Zum Vorschlag der Europäischen Kommission siehe BudaPost vom 2. Dezember.) Einerseits hege man den Wunsch, dass diese Transfers auf unbestimmte Zeit zurückgehalten würden, so Farkas. Dahinter stehe die Hoffnung, dass die daraus resultierenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten die Popularität des Fidesz untergraben könnten. Andererseits lebe man selbst auch in diesem Land und wolle daher nicht, dass es in eine Rezession und eine allgemeine Finanzkrise abgleite. Gleichermaßen sei ihnen bewusst, dass im Falle einer schnellen Lösung des Konflikts zwischen der Regierung und der Europäischen Kommission das „Orbán-Regime“ bis 2060 unverändert bleiben könnte. Oppositionell gesinnte Ungarn befinden sich also in einem schizophrenen Zustand, schlussfolgert Farkas.

In Jelen weist Zoltán Lakner darauf hin, dass die Europäische Kommission Ungarn beispiellose Sanktionen auferlegt habe – und das, obwohl zwei Drittel der während des laufenden siebenjährigen Haushaltszyklus fälligen Transfers nicht unter diese Sanktionen fallen würden und sogar der Rest freigegeben werden könne, wenn die Regierung Bedingungen umsetze, die seiner Meinung nach relativ leicht zu erfüllen seien. Lakner geht davon aus, dass die Regierung schrittweise an die EU-Transfers herankommen könne, ohne zu wirksamen politischen und rechtsstaatlichen Zugeständnissen gezwungen zu werden. Dennoch räumt er ein, dass das von der Europäischen Kommission gewählte Verfahren es dieser ermögliche, die ungarische Regierung mehrere Jahre lang unter strenger Kontrolle zu halten. Die Europäische Union sei ihrem Ziel, „eine Verbindung zwischen rechtsstaatlichen Auflagen und tatsächlichen Transfers herzustellen“, noch nie derartig nahegekommen, so Lakner.

In Élet és Irodalom behauptet Chefredakteur Zoltán Kovács, dass die Korruption das wesentliche Merkmal der gegenwärtigen Regierung und „deren Herz durch einen riesigen Geldbeutel ersetzt“ worden sei. Dieses Regime könnte seiner Meinung nach ohne umgeleitete öffentliche Gelder nicht überleben, aber der Journalist bezweifelt, dass die von der Europäischen Union gesetzten Bedingungen wesentliche Veränderungen im Lande bewirken könnten. Die „methodisch aufgebaute Praxis und Struktur der Korruption“, so Kovács, lasse sich nicht von einem Tag auf den anderen mit improvisierten Gesetzen in Ordnung bringen.

In seinem wöchentlichen Leitartikel in Magyar Hang vergleicht Szabolcs Szerető das Tauziehen zwischen der ungarischen Regierung und der Europäischen Kommission mit einer mittelmäßigen Seifenoper in unzähligen Episoden. Er geht davon aus, dass Ungarn zumindest auf einen Teil der ursprünglich vorgesehenen EU-Transfers werde zugreifen können, hält diese Zahlungen aber nicht für ausreichend, um die gravierenden wirtschaftlichen und sozialen Probleme Ungarns zu lösen. Auf jeden Fall rechnet er nicht damit, dass die ersten Zahlungen Ungarn vor dem nächsten Sommer erreichen werden.

In seiner wöchentlichen Kolumne für Mandiner beschreibt der Philosoph András Lánczi die Vorgänge zwischen Ungarn und der Europäischen Union als einen „Prozess der Demütigung“. Die europäischen Institutionen fordern Ministerpräsident Orbán laut Lánczi nicht offen zum Rücktritt auf, aber der Philosoph vermutet, dass sie genau das erreichen wollen – und da sie das nicht könnten, demütigten sie Ungarn. Eine solche herablassende und belehrende Haltung werde oft nur von denjenigen wahrgenommen, die ihre Opfer seien. In diesem Zusammenhang erinnert Lánczi an die Friedensverträge nach dem Ersten Weltkrieg, die Deutschland demütigten und damit zwei Jahrzehnte später zur Hauptursache des Zweiten Weltkriegs wurden. Der Philosoph ist der Meinung, dass die westlichen Staats- und Regierungschefs eine demütigende Haltung gegenüber Russland eingenommen haben, was seiner Meinung nach zum Krieg in der Ukraine geführt habe. Man müsse Russland weder verstehen noch lieben, schreibt er, aber wer es demütige, dürfe sich nicht über eine gewalttätige Gegenreaktion wundern.

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