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Streit um Ungarns Platz in der Welt

10. Jan. 2023

Zwei jüngst gehaltene Reden haben eine kontroverse Debatte zwischen linken und regierungstreuen Kolumnisten ausgelöst. Im ersten Fall geht es um Äußerungen des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán über die Bemühungen seines Landes, einen neuen Kalten Krieg zu vermeiden, im anderen Fall um eine Ansprache von US-Botschafter David Pressman. In ihr hatte der Diplomat aus Washington dazu aufgerufen, dass „jeder seine eigene Wahl treffen möge“.

In einer vor Weihnachten hinter verschlossenen Türen gehaltenen Rede, deren zentrale Aussagen von seinem politischen Direktor und Namensvetter Balázs Orbán am Samstag gegenüber dem Portal Mandiner enthüllt worden waren, hatte Ministerpräsident Viktor Orbán betont, Ungarn müsse sich aus einer etwaigen Auseinandersetzung zwischen zwei Blöcken heraushalten, da eine Randlage in einem neuen Kalten Krieg das Land in die Bedeutungslosigkeit drängen würde. Bei der Vorstellung seiner Strategie für die kommenden zehn Jahre sagte der Regierungschef, Ungarn solle stattdessen den Versuch unternehmen, sich zu einer „regionalen Mittelmacht“ zu entwickeln. Daher müsse man daran arbeiten, „zu verbinden, statt zu trennen“. In einer Rede zum Gedenken an die Rückkehr der ungarischen Krone vor 45 Jahren erklärte Botschafter David Pressman, der russische Präsident Putin sei „ein Überbleibsel aus einer Zeit, die der größte Teil der Welt hinter sich zu lassen versucht hat“. Und weiter: „Wir alle müssen entscheiden, welchen Kurs wir in diesen turbulenten Zeiten einschlagen wollen.“

In seiner Interpretation der Strategie des Ministerpräsidenten wirft Miklós Hargitay Orbán vor, er wolle sich aus dem westlichen Bündnis heraushalten und Ungarn in eine „Fähre“ verwandeln, die ständig zwischen Ost und West hin- und herpendele. Auch die Vision des Regierungschefs von Ungarn als Mittelmacht bezeichnet er in der linken Tageszeitung Népszava als Tagträumerei. Gleiches gelte für seine Besorgnisse bezüglich einer Randlage innerhalb des westlichen Blocks. Hargitay verweist auf Schweden an der nördlichen Peripherie, „das wir nur beneiden können“, sowie auf Spanien an der südlichen, „dessen Pro-Kopf-BIP doppelt so groß ist wie das von Ungarn“.

In Magyar Nemzet bezeichnet Károly Pósa die Gedanken des US-Botschafters hingegen als eine Belehrung Ungarns. Der regierungsnahe Blogger pflichtet Pressman bei: Jeder müsse selbst darüber bestimmen, welchen Weg er einschlagen wolle. Allerdings schränkt er ein: „Wir sollten selbst entscheiden, und zwar nach gründlichem Nachdenken und in aller Freiheit.“ Pósa zitiert eine ungenannte russische Quelle, die sich kritisch gegenüber den Ungarn geäußert hatte – dies aber „wenigstens offen und ehrlich“. Abschließend notiert Pósa, dass Ungarn „in keinem der beiden Blöcke etwas zu suchen hat“ – es müsse das nationale Interesse im Auge behalten.

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