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Jahrestag des Ukraine-Krieges im Spiegel der Wochenpresse

27. Feb. 2023

Linke und liberale Autoren vertreten die Ansicht, dass der Westen die Ukraine unterstützen sollte, bis sie ihre von Russland besetzten Gebiete zurückerhält. Konservative Analysten sind wiederum der Meinung, dass keines der beiden kriegführenden Länder den Krieg gewinnen könne – und unterstützen daher die Forderung der ungarischen Regierung nach einem raschen Waffenstillstand und Friedensverhandlungen.

In Élet és Irodalom äußert Lajos Bokros die Befürchtung, dass einige westeuropäische Nato-Länder bereit sein könnten, die russische Expansion im Austausch für wirtschaftliche Vorteile zu akzeptieren. Der frühere Finanzminister und Kandidat für das Amt des Ministerpräsidenten verurteilt in diesem Zusammenhang die Politik der politischen Führung Deutschlands seit 2014 als Ausdruck dieses Geistes. Sie lasse an das Münchner Abkommen denken, das 1938 von den britischen und französischen Staats- und Regierungschefs mit Adolf Hitler geschlossen worden sei. Würde der Westen jedoch das Recht Russlands auf einseitige Grenzverschiebungen hinnehmen, würde er China den Weg zur Annexion Taiwans ebnen, so Bokros. Das Schicksal Taiwans, so seine Schlussfolgerung, werde also in der Ukraine entschieden.

In ihrem ganzseitigen Leitartikel hält Magyar Narancs fest: Sollte Russland seine eroberten Gebiete in der Ukraine halten, wäre der ukrainische Staat wirtschaftlich von Russland abhängig und in Bezug auf die nationale Sicherheit dem Kreml ausgeliefert. Gelänge es der Ukraine hingegen, nach Süden durchzubrechen und ihre Schwarzmeerküste zurückzuerobern, würde dies die Möglichkeit für vielversprechende Friedensgespräche eröffnen. Ein solcher Durchbruch, heißt es in dem links-liberalen Wochenmagazin, wäre jedoch nur im Falle einer massiveren und mutigeren westlichen Unterstützung für die Ukraine möglich.

Auch Györgyi Kocsis von Heti Világgazdaság ist der Meinung, dass die Versorgung mit wirkungsvollen und schweren Waffen aus dem Westen hinter dem zurückbleibt, was die Situation an den Frontlinien in der Ukraine erfordere. Russlands Präsident Wladimir Putin sei in der Tat bereit, eine erstaunliche Anzahl von Menschenleben zu opfern. Und um seine erwartete neue Offensive abzuwehren, benötige die Ukraine dringend mehr hochmoderne Gefechtsfahrzeuge, Panzer und Artillerie, mahnt Kocsis.

Roland Majláth von Magyar Hang hingegen geht davon aus, dass Russland einfach nicht über genügend menschliche Ressourcen zur grundlegenden Veränderung des Kriegsgeschehens verfüge. Die russischen Truppen hätten kaum Erfolge erzielt, um die gesamte Region Donezk – obwohl eine der ersten beiden offiziell von Russland annektierten ukrainischen Regionen – zu besetzten. Majláth beschreibt die Situation entlang der Frontlinien als eine Patt-Situation, die an den Ersten Weltkrieg mit seinen endlosen Grabenkämpfen erinnere.

In seinem wöchentlichen Leitartikel in Demokrata verurteilt András Bencsik eine Stellungnahme von Jens Stoltenberg. (Der Nato-Generalsekretär hatte gesagt, alle Optionen seien riskant, aber die riskanteste sei ein Sieg Russlands – Anm. d. Red.) Anders ausgedrückt, so Bencsik, wäre man laut dem Generalsekretär mit einem russischen Sieg schlechter dran als mit dem Risiko eines Dritten Weltkriegs. Bencsik lobt vielmehr die ungarische Regierung für ihr standhaftes Beharren auf der Notwendigkeit eines sofortigen Waffenstillstands, da dies seiner Meinung nach die einzige Möglichkeit sei, den Verlust weiterer Zehn- und Hunderttausender von Menschenleben zu verhindern.

Es sei selbstmörderisch für die Opposition, wenn diese die Haltung der Regierung in Sachen Ukraine ablehne, notiert Krisztián Talabér in Mandiner. In den Augen des Analysten der regierungsnahen Denkfabrik Nézőpont ist dies der Grund, warum sie bei den Wahlen im vergangenen Frühjahr eine noch nie dagewesene Niederlage erlitten habe. Die derzeitige Finanz- und Energiekrise sei eine lehrbuchmäßige Gelegenheit für jede Opposition, neue Sympathisanten zu gewinnen, erklärt Talabér und führt das schlechte Abschneiden der ungarischen Regierungsgegner in Meinungsumfragen auf das Beharren der Linken auf der Fortsetzung des Krieges bis zum vollständigen Sieg der Ukraine zurück.

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