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Zum Zustand der Opposition ein Jahr nach den Parlamentswahlen 2022

10. Apr. 2023

Oppositionsnahe Kommentatoren der Wochenpresse zeichnen ein trostloses Bild von den Chancen der Opposition, den Fidesz in absehbarer Zeit aus dem Amt zu verdrängen. Ein regierungsnaher Kolumnist umreißt das Rezept, das seiner Meinung nach die Regierenden in den zurückliegenden Jahren derart unangreifbar gemacht hat.

Die Opposition sollte die Hoffnung auf einen Sieg bei den Parlamentswahlen aufgeben und sich stattdessen auf die Großstädte konzentrieren, regt János Széky in seinem Leitartikel auf der Titelseite von Élet és Irodalom an. Er verweist auf aktuelle Meinungsumfragen, denen zufolge weite Teile der Bevölkerung mit ihrer Lage und der Entwicklung des Landes unzufrieden seien, der Fidesz dessen ungeachtet aber nach wie vor 51 Prozent der potenziellen Wählerinnen und Wähler hinter sich habe.
Die großstädtische Mittelschicht sei gegenüber „dem illiberalen und undemokratischen Regime“ resistenter. Allerdings lebe die Mehrheit der Bevölkerung außerhalb dieser Städte und gehe der Regierungspropaganda auf den Leim, urteilt der Leitartikler und fährt fort: Nach vier verlorenen Wahlen wäre es illusorisch anzunehmen, dass die Opposition den Fidesz besiegen könne.
Und so fordert Széky die Opposition zu dem Versuch auf, die städtischen Mittelschichten zu mobilisieren, anstatt einen kräftezehrenden Kampf um eine landesweite Mehrheit zu führen. Dabei gründet er seine Hoffnung auf die nach der Harvard-Politologin Erica Chenoweth benannten Regel, laut der keine Regierung einer gegen sie gerichteten Mobilisierung von gerade einmal 3,5 Prozent der Bevölkerung standhalten könne.

In seiner wöchentlichen Kolumne für Heti Világazdaság verteidigt Árpád W. Tóta Gergely Karácsony gegen den Vorwurf des Vorsitzenden der Demokratischen Koalition, der Budapester Oberbürgermeister komme seiner patriotischen Pflicht nicht nach. (In einem vergangene Woche veröffentlichten Interview hatte Ferenc Gyurcsány erklärt, dass der linke Oberbürgermeister der Hauptstadt seiner Meinung nach einen unerbittlichen Kampf gegen die rechtsorientierte Regierung führen sollte, anstatt mit ihr zu verhandeln – Anm. d. Red.)
Tóta interpretiert diese Äußerung als Auftakt für die „traditionellen Grabenkämpfe“ innerhalb der Opposition im Hinblick auf die 2024 anstehenden Kommunalwahlen. Die Demokratische Koalition habe keine brauchbaren alternativen Kandidaten für das Amt des Budapester OB, weshalb ein solcher Angriff auf den Amtsinhaber lediglich den Regierenden in die Hände spiele.
Tótas Hauptargument jedoch lautet: Es sei die Pflicht des Oberbürgermeisters, mit der Regierung über staatliche Entwicklungsfonds zu verhandeln und zu feilschen. Gewiss habe Karácsony Budapest nicht in eine regierungskritische Festung verwandelt. Vielmehr verfolge er einen anderen, freundlicheren Führungsstil als „den seitens der Regierung an den Tag gelegten“, beobachtet Tóta.

In einem Beitrag für Magyar Hang malt István Dévényi die Landschaft der Opposition in dunklen Farben. Einzig die Demokratische Koalition befinde sich in einer guten Verfassung. Allerdings schränkt er ein: Mit der extrem polarisierenden Figur des Ferenc Gyurcsány an der Spitze habe sie keinerlei Aussichten auf Ablösung der Regierung von Viktor Orbán. Momentum sei unaufhörlich auf der Suche nach einer neuen Identität, während die „Partei des Doppelschwänzigen Hundes“ immer weniger spaßig daherkomme. Im Übrigen dürften weder Jobbik noch die Sozialistische Partei nennenswerte Lücken hinterlassen, sollten sie von der Bildfläche verschwinden. Die Hoffnung, dass ein neuer Retter wie ein Blitz aus heiterem Himmel auftauche und die Massen zur Eroberung der Regierung führe, hält Dévényi für vergeblich. Der Kommentator räumt ein, dass sich für ihn selbst keine Lösung am Horizont abzeichne, da das Regime, dessen Sturz er sich wünsche, in Wirklichkeit immer stärker werde.

Demokrata-Chefredakteur Gábor Bencsik geht auf die Frage eines linksliberalen Bekannten ein, was seiner Meinung nach den Fidesz derartig erfolgreich mache, dass er sich zum vierten Mal in Folge vier Jahre lang an der Regierung halten könne. Laut Bencsik liegt das Geheimnis in einer komplexen Vision von einem zukunftsfähigen Ungarn begründet.
Der erste Faktor dieser Vision sei eine arbeitsorientierte Gesellschaft, in der den Menschen Arbeitsplätze angeboten würden, die ihnen ein größeres Selbstwertgefühl als bloße Sozialleistungen vermittelten. Das zweite Element sieht Bencsik in einer Vereinigung der Ungarn innerhalb und außerhalb der Landesgrenzen. Das dritte Element sei die nationale Selbstbestimmung und das Verständnis von Europa als einer aus Nationen bestehenden Union – nicht jedoch als einer supranationalen Organisation, die von unsichtbaren und nicht rechenschaftspflichtigen Personen geführt werde.
Der Publizist erwähnt auch die Bemühungen der Regierung um den Erhalt der kulturellen Traditionen des Landes, einschließlich des jüdisch-christlichen Erbes. All diese Komponenten zusammen böten die Perspektive eines selbstbewussten Landes, das in die Zukunft blicke, dabei gleichzeitig seine Traditionen bewahre sowie sich um seine Kinder kümmere. Die Opposition lässt Bencsik unerwähnt, hegt aber keinen Zweifel daran, dass sie keine solche allumfassende Vision vorzuweisen habe.

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