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Demonstrationen auf dem Burgberg dominieren Wochenpresse

15. May. 2023

Die Demonstrationen vor dem Amtssitz des Ministerpräsidenten auf dem Budapester Burgberg haben sich in den letzten Wochen zu einem zentralen Thema der Oppositionspolitik entwickelt, wobei die Meinungen über ihre Bedeutung auseinandergehen.

Oppositionspolitiker würden vergeblich versuchen, Ministerpräsident Viktor Orbán an sein früheres Wesen als Freiheitskämpfer zu erinnern, notiert Heti Világgazdaság und präsentiert ein Foto des jungen Orbán. Zu sehen ist, wie ihm ein Polizist bei einer nicht genehmigten Demonstration 1988 den Schlagstock an den Hals drückt. Ein weiteres zeigt ihn 2006 beim Niederreißen von Barrikaden aus Metall, die Demonstrierende hindern sollen, sich dem Parlamentsgebäude zu nähern, in dem sich damals unter anderem das Büro des Ministerpräsidenten befunden hat. Diesmal, so das liberale Wochenjournal, habe Orbán den Einsatz von Tränengas und Schlagstöcken durch die Polizei gegen Protestierende mit der Begründung gerechtfertigt, Schüler, Lehrer und Eltern sollten demonstrieren, ohne dabei gegen Gesetze zu verstoßen. Heti Világgazdaság hält es für nicht hinnehmbar, dass die Polizei „auf Befehl ihrer Vorgesetzten auf Kinder einprügelt“. Offensichtlich aber habe die Regierung unter dem Eindruck der Demos Zugeständnisse gegenüber den Forderungen der Lehrkräfte gemacht.

Im Zuge der Demonstrationen gegen ein Gesetz, das Lehrkräften den Beamtenstatus entzieht, ist auch Momentum regelmäßig vor dem Büro des Ministerpräsidenten aufgetaucht. Dabei haben Abgeordnete und Aktivisten der Partei versucht, die dortigen Absperrungen aus Metall zu entfernen. Magyar Narancs weist die Einwände regierungsnaher Kommentatoren zurück, wonach das Verhalten der Polizei zu rechtfertigen sei – und im Vergleich zum brutalen Vorgehen der Polizei bei den Unruhen 2006 unter der damaligen linksliberalen Regierung regelrecht verblassen würden. Die liberale Wochenzeitung weist darauf hin, dass vielmehr die Demonstrierenden des Jahres 2006 gewalttätig agiert hätten. Die Redakteure kritisieren auch jene Stimmen aus den Reihen der Opposition, die die aktuellen Proteste herunterspielenn, da sich ja nur einige Dutzend Personen daran beteiligten. Die ungarische Gesellschaft präsentiere sich derzeit als zu schwach, um auch nur an Massendemonstrationen denken zu können, so Magyar Narancs. Solange dies so bleibe, seien diese wenigen Demonstrierenden die einzigen, die die Demokratie im Lande vertreten.

In Magyar Hang warnt Szabolcs Szerető vor der Erwartung, dass die Bilder von jungen, durch die Polizei mit Tränengas und Schlagstöcken zurückgedrängten Demonstrierenden das Kräfteverhältnis in der ungarischen Politik verändern würden. Momentum übertreibe stark, wenn die Partei die Regierung in dem Sinne beschreibe, als bestünde ihre Haupttätigkeit im Verprügeln von Kindern, räumt der Kolumnist ein. Doch würden die Regierenden nicht weniger stark übertreiben, wenn sie die Opposition als einen Haufen Verräter und Kriegstreiber bezeichne, die die ungarische Jugend an die Front in der Ukraine schicken würden. Inzwischen, so Szerető, seien sogar einige Oppositionsparteien der Meinung, dass das wiederholte Niederreißen von Metallbarrikaden auf dem Burgberg ein sinnloses Unterfangen sei.

In Mandiner weist Gergely Szilvay die von oppositionellen Autoren verbreitete These zurück, wonach eine komplette Generation junger Ungarn ihr ganzes Leben lang die Erfahrung einer repressiven Macht mit sich herumtragen werde, die nicht davor zurückschrecke, Jugendliche mit Tränengas zu traktieren. 2006 habe seine Generation ein solches Gefühl verspürt, als viele tausend Menschen von der Polizei brutal misshandelt worden seien, gibt Szilvay zu Protokoll und nennt es bezeichnend, dass die Opposition, die keine großen Menschenmengen gegen die rechte Regierung mobilisieren könne, zwecks Wahrnehmung auf spektakuläre Aktionen zurückgreife. Im Übrigen hätte er nichts dagegen, wenn das Amt des Ministerpräsidenten von einem geschmiedeten Zaun mit künstlerischem Wert umgeben wäre – und nicht von improvisierten Metallbarrieren.

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