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Wochenblätter zum Charakter der ungarischen Regierung

14. Aug. 2023

Linke und liberale Autoren bezeichnen das Orbán-Regime als Ausnahmeerscheinung innerhalb der Europäischen Union. Regierungsnahe Kollegen dagegen betrachten die Regierung als Verfechterin von Werten wie Freiheit und nationaler Souveränität in einem zuweilen feindlichen Umfeld.

In einem Leitartikel für Jelen verurteilt Zoltán Lakner den Erklärungsversuch von Minister Gergely Gulyás für den Rückgang der grundlegenden Lese- und Verstehenskompetenzen, die Anfang dieses Jahres in ungarischen Schulen gemessen worden waren. Demnach seien die schlechtesten Werte in Gebieten mit einem hohen Roma-Anteil im öffentlichen Bildungswesen zu verzeichnen gewesen. Der linke Kolumnist hält dem entgegen, dass Roma-Kinder auch in früheren Jahren an ungarischen Schulen vertreten gewesen seien. Folglich könnte man die Schuld für die in diesem Jahr gemessenen schlechtesten Kompetenzwerte aller Zeiten nicht einfach ihnen in die Schuhe schieben. Laut Lakner sind die Äußerungen des Ministers Ausdruck für eine Politik, die nach Schuldigen statt nach Lösungen suche.

In seiner Kolumne auf der Titelseite der Wochenzeitung Élet és Irodalom zitiert János Széky die Worte von Ministers Gulyás über die Zigeunerschüler als Anzeichen „einer für Regierungsbeamte charakteristischen Idiotie“. Dabei seien diese Beamten ansonsten hochintelligent, müssten jedoch das Versagen der Regierung wegdiskutieren, notiert der Kolumnist. Ein weiterer Satz desselben Ministers, den er zur Untermauerung seiner These anführt, ist dessen Antwort auf eine Frage über das Vermögen des reichsten Mannes in Ungarn – des ehemaligen Bürgermeisters des Heimatdorfes von Ministerpräsident Viktor Orbán. Laut Gulyás besteht das einzige Problem darin, dass es nicht 30 oder 40 Lőrinc Mészáros gebe.

Auch Árpád W. Tóta kommt auf diese Äußerung zu sprechen. In Heti Világgazdaság schreibt der liberale Kolumnist: Die Yacht, auf der Mészáros seinen Urlaub im Mittelmeer verbracht habe, solle etwa 27 Milliarden Forint (umgerechnet gut 70 Millionen Euro) gekostet haben. Das entspräche der Summe, die die Regierung jährlich für wissenschaftliche Forschung aufwende. Währenddessen kämpften zahlreiche gemeinnützige Einrichtungen wie Schulen, Kinderheime und Krankenhäuser damit, über die Runden zu kommen, fügt Tóta hinzu.

In einem Doppel-Interview mit Magyar Hang stellen eine ehemalige liberale Politikerin sowie ein ungarisch-italienischer Historiker die Frage, ob Ungarn auf lange Sicht gesehen Mitglied der Europäischen Union bleiben werde. Sowohl Zsuzsa Szelényi als auch Sandro Bottoni haben vor kurzem ein Buch über die Regierungsführung in Ungarn unter Ministerpräsident Orbán veröffentlicht. Darin bezeichnen sie Ungarn weder als Diktatur noch als vollwertige Demokratie. Szelényi ist der Ansicht, dass Ungarn ungeachtet der zunehmenden Feindseligkeit in seinen Beziehungen zur Europäischen Union auch in zehn Jahren noch Mitglied sein werde, weil es keine andere Wahl habe. Bottoni hingegen glaubt, dass Ungarn aus der Europäischen Union herausdriften könnte, da der Gedanke an einen Austritt in den Köpfen vieler Menschen bereits vorhanden sei. Noch handele es sich um eine Minderheitenmeinung. Da es aber den Anschein habe, als ob Ungarn die aus rechtsstaatlichen Gründen ausgesetzten EU-Transfers kaum erhalten werde, könnten sich die Dinge ändern. Die Beziehungen könnten so verbittert werden, dass der Austritt aus der Union eines Tages auf die Tagesordnung gesetzt werde, bzw. die Beziehungen zur Gemeinschaft auf rein formale Aspekte beschränkt würden, überlegt Bottoni.

Im Gegensatz dazu äußert Gábor Bencsik vom Wochenmagazin Demokrata die Vermutung, dass die Europäische Union versuchen könnte, Ungarn aus der Gemeinschaft zu drängen. Das sei zumindest eine mögliche Erklärung für die Entscheidung der Europäischen Kommission, die vielen von Stiftungen geführten Universitäten Ungarns aus dem Studentenaustauschprogramm Erasmus und dem wissenschaftlichen Forschungsprogramm Horizont Europa auszuschließen. Dabei habe man – wie von der Europäischen Kommission gefordert – Regierungsbeamte aus den Vorständen dieser Universitäten abgezogen. Doch habe Brüssel daraufhin neue Anforderungen gestellt, die Regierung wiederum neue Gesetzesentwürfe ausgearbeitet, um diesen Forderungen nachzukommen. Die Kommission jedoch habe geantwortet, sie wolle anstatt lediglich der Entwürfe auch verabschiedete Gesetze sehen. Es sei absurd, dass die Kommission keine Position abgeben wolle, die die ungarische Seite vor der endgültigen Ausarbeitung der Gesetze berücksichtigen könnte. Die Europäische Kommission hoffe entweder darauf, dass wütende Studenten zum Sturz der Regierung beitrügen, oder sie versuche, Ungarn aus der Union zu drängen, argwöhnt Bencsik und bekräftigt: „Wie auch immer, es wird ihnen nicht gelingen – die gewählte Regierung wird im Amt und Ungarn ein untrennbarer Teil Europas bleiben.“

In Mandiner weist Zoltán Szalai die rechtsstaatlichen Bedenken hinsichtlich der Pressefreiheit in Ungarn als nicht stichhaltig zurück. Der Chefredakteur der Wochenzeitung beschreibt die Medienlandschaft als „total zufriedenstellend“. Die Zahl ausländischer Eigner im Medienbereich sei zurückgegangen, und in den Medien würden praktisch alle nur denkbaren Ansichten vertreten. In den Online-Medien dominierten sogar linke Meinungen, obwohl unter den zehn meistgelesenen Publikationen linke und rechte gleich stark vertreten seien. Gleichzeitig habe die Linke im Westen ein Medienklima geschaffen, in dem konservative Stimmen nur schwer an die Oberfläche gelangen könnten, moniert Szalai und beklagt: Positionen, die früher zum Mainstream des Mitte-Rechts-Meinungsspektrums gehörten, würden nunmehr als rechtsextrem abgestempelt und damit ins Abseits gedrängt.

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