Wochenpresse zu Ungarns Ost-West-Beziehungen
11. Sep. 2023Regierungskritiker werfen der Führung des Landes vor, sich Russland anzunähern und Ungarn aus dem westlichen Verbund herauslösen zu wollen. Ein regierungsfreundlicher Kommentator weist diese Anschuldigung zurück.
Im Leitartikel von Élet és Irodalom befasst sich István Váncsa mit der „traurigen Lage“ der ungarischen Wirtschaft, die „von Korruption und Rezession“ gebeutelt sei. Aus einer kürzlichen Erklärung von Finanzminister Mihály Varga liest Váncsa heraus, dass „die Einführung des Euro inzwischen nicht mehr in Frage kommt“, und behauptet, dass sich das Land seit der Vereidigung von Ministerpräsident Orbán im Jahr 2010 auf einem Weg der „langsamen, aber unaufhaltsamen Loslösung“ von der Europäischen Union befinde.
Im Wochenmagazin Magyar Narancs kritisiert Balázs Váradi diejenigen – darunter auch die Führer von Momentum – die die Ansicht verträten, dass die Europäische Union ungarische Studenten nicht mit dem Ausschluss der Stiftungsuniversitäten von ihren Austauschprogrammen bestrafen sollte (siehe BudaPost vom 12. Januar). Die Union könne das ungarische Regime nicht bestrafen, indem sie exklusiv ihm Schmerzen zufüge und niemandem sonst. Der Kolumnist sieht im Ausschluss der von staatlichen Stiftungen geführten Universitäten von den europäischen Austauschprogrammen eine an die ungarische Öffentlichkeit gerichtete Warnung. Diese Studenten würden eher Opfer Ministerpräsident Orbáns als der Europäischen Union sein, konstatiert Váradi.
In Jelen wirft Ákos Tóth der Regierung vor, Ungarn an Russland zu verkaufen, weil sie nicht laut gegen das offizielle russische Schulbuch für Schüler der 11. Klasse protestiere. (In dem Lehrwerk wird die ungarische Revolution des Jahres 1956 als ein Ereignis beschrieben, bei dem Ex-Soldaten des faschistischen Ungarn aus dem Zweiten Weltkrieg Amok gelaufen seien und unzählige Morde begangen hätten, siehe BudaPost vom 30. August – Anm. d. Red.) Laut Tóth „verrät die ungarische Regierung damit die Souveränität des Landes auf unverfrorene Weise“.
Árpád W. Tóta macht der Regierung pauschal den Vorwurf, sie stelle sich in internationalen Fragen an die Seite Russlands, obwohl das Land in den letzten zwei Jahrhunderten zwei ungarische Revolutionen niedergeworfen habe. In Heti Világgazdaság räumt der Kolumnist ein, dass die Regierung nie öffentlich bekunde, man ergreife in den Konflikten Russlands mit dem Westen die Partei Moskaus, macht aber darauf aufmerksam, dass die regierungsnahe Presse das Bild eines auf der richtigen Seite der Geschichte stehenden Russland zeichne.
Auch Szabolcs Szerető vertritt in seinem Leitartikel für die Wochenzeitung Magyar Hang die Ansicht, dass die regierungsnahe „Propagandamaschine“ gegen den Westen gerichtete Haltungen verbreite. Darüber hinaus habe die Position der Regierung zum Einmarsch Russlands in die Ukraine bei westlichen Entscheidungsträgern das Gefühl bestärkt, Ungarn sollte als Abweichler betrachtet werden. Diese Richtungsentscheidung könne tragische Folgen für das Land haben, orakelt Szerető.
In einem Mandiner-Artikel weist Mátyás Kohán den Vorwurf seitens der Opposition, die Regierung wolle Ungarn aus der Europäischen Union herausführen, als vollkommen abwegig zurück. Er erinnert die Opposition daran, dass sie sich auch gegen die Politik der Regierung wende, ungarnweit Autobatteriefabriken zu errichten. Man könne nicht beides fürchten, warnt er. Ungarn locke die Erbauer von Autobatteriefabriken, weil in der Europäischen Union ab 2035 nur noch Elektroautos verkauft werden dürften. Für uns, so Kohán, seien diese Batteriefabriken einfach eine Versicherung gegen den Huxit.
Tags: EU, Russland, Unabhängigkeit, Ungarn