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Streitpunkt Souveränität: Regierungspläne im Fokus der Wochenpresse

2. Oct. 2023

Der Opposition nahestehende Kommentatoren kritisieren vehement Pläne des Kabinetts von Viktor Orbán, mit Blick auf die Bewahrung der ungarischen Souveränität die Finanzierung von Medien und Nichtregierungsorganisationen aus dem Ausland zu sanktionieren. Der Regierung nahestehende Autoren wiederum äußern sich kritisch über die Haltung der Europäischen Union zu Ungarn.

Fidesz-Fraktionschef Máté Kocsis erklärte vergangene Woche vor Pressevertretern, dass die Regierung im Herbst ein „Souveränitätspaket“ einbringen werde, um es „bestimmten Leuten zu erschweren, Ungarn für Dollars zu verscherbeln“. Minister Gergely Gulyás erklärte dazu, der wichtigste Punkt werde darin bestehen, die Bestimmungen der Wahlkampffinanzierung auf alle zur Wahl stehenden Organisationen auszudehnen – auch wenn es sich bei ihnen um gar keine Parteien handeln sollte.

Szabolcs Szerető geht davon aus, dass die Offensive mit dem Codenamen „Souveränitätsschutz“ auf eine Opposition abziele, die ungeachtet der sich verschärfenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten Ungarns keine tödliche Herausforderung für die Regierung darstelle. Die Regierung, so der Kolumnist in Magyar Hang, wolle nicht nur massiver in die politischen Parteien eindringen. Vielmehr beabsichtige sie, sämtliche von ihr nicht zu kontrollierenden regierungskritischen Plattformen als Diener ausländischer Interessen zu diskreditieren.

Ganz ähnlich sieht es Zoltán Lakner in seinem aktuellen Jelen-Leitartikel: Die Regierung plane, unabhängige Nichtregierungsorganisationen und Medien, die ausländische Gelder akzeptieren würden, zu verstümmeln, denn die ungarische Öffentlichkeit sei nicht finanzstark genug ist, um sie zu unterhalten. Diesen Organisationen sei es noch nie gelungen, den Fidesz am Gewinn einer überwältigenden parlamentarischen Mehrheit zu hindern, unterstreicht Lakner. Daher gebe es überhaupt keine Veranlassung für die geplanten Maßnahmen. Abschließend prognostiziert der Leitartikler, dass das „juristische Monster“, das wahrscheinlich aus diesen Bemühungen resultieren werde, ein letzter Schlag für die Ungarn zustehenden EU-Gelder sein werde – Gelder, die aufgrund von Bedenken bezüglich der Rechtsstaatlichkeit zurzeit eingefroren seien.

Imre Para-Kovács vertritt in Heti Világgazdaság die Auffassung, dass die geplante Gesetzesinitiative lediglich dazu bestimmt sei, vom Scheitern der Wirtschaftspolitik der Regierung abzulenken. Der Kolumnist zitiert Notenbankchef György Matolcsy, der diese Politik als „abenteuerlich“ bezeichnet habe, und interpretiert die Regierungskampagne für die Souveränität als Propagandawerkzeug. Die Regierenden hätten versucht, die Ressourcen kritisch eingestellter Nichtregierungsorganisationen auszutrocknen. Falls diese sich nun woanders um Finanzmittel bemühen sollten, würden sie als Verräter an Ungarn gebrandmarkt werden. Anders formuliert: Souveränität bedeute für die Regierung lediglich, dass sie den Tresorschlüssel in ihren Händen behalten wolle.

In einem Beitrag für die Wochenzeitung Élet és Irodalom widerspricht Dániel Deák der Haltung der Regierung zu den von Deutschland und Frankreich in Brüssel vorgelegen Reformplänen. Die ungarische Seite lehne bekanntlich eine engere Integration ab und betrachte ihr Vetorecht als Schutz der nationalen Souveränität. Diese Position werde Ungarn jedoch an den Rad der Europäischen Union zwingen. Eine engere Integration sei der einzige Weg, um die Wettbewerbsfähigkeit Europas zu verbessern. Sollte sich Ungarn aus diesem Prozess heraushalten, werde es sich selbst zum Absteiger verdammen, prognostiziert Deák.

László Dornfeld hingegen wirft den „Brüsseler Bürokraten“ bei Mandiner vor, sie seien „damit beschäftigt, sich die Taschen zu füllen und die Mitgliedsländer zu belehren“, während letztere – zumindest in Osteuropa – versuchen müssten, diejenigen Probleme zu lösen, die der Westen nicht in Angriff nehmen könne oder wolle. Infolgedessen werde zum Beispiel Ungarn häufig kritisiert, weil es seinen eigenen Weg gehe. Man werfe dem Land beispielsweise Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit vor. Kein Wunder, so Dornfeld, dass Ungarn keine zentralisierte Europäische Union wünsche. Die ungarische Position ziele darauf ab, das Gewicht der einzelnen Mitgliedsländer zu erhöhen und zum Ausgangspunkt zurückzukehren, d.h. zu einer Europäischen Union, die ein Wirtschaftsbündnis starker Nationalstaaten sei, die sich an konkreten Interessen, nicht jedoch an ideologischen Zielen orientieren würden.

Gábor Bencsik vom regierungstreuen Magazin Demokrata verurteilt die Europäische Union dafür, dass sie die Klagen der ungarischen ethnischen Minderheit in der Ukraine ignoriere. Wie könnten Repräsentanten im Europaparlament vertretener ethnischer Minderheiten – etwa Basken oder die Bewohner Südtirols – taub sein gegenüber der Forderung der ethnischen Ungarn in der Region Transkarpatien, die die ukrainische Regierung zur Aufgabe des Unterrichts in ihrer Muttersprache zwingen wolle. Brüssel sei damit beschäftigt, die Rechte aller Minderheiten zu schützen, egal ob es sich um echte oder künstliche Minoritäten handele – einzige Ausnahme dabei: ethnischen Minderheiten, wettert Bencsik. Ungarn möchte lediglich, dass seine magyarischen Landsleute jenseits der Grenzen die gleichen Rechte genössen, die die Einwohner Südtirols, Kataloniens oder die Schweden in Finnland heute als selbstverständlich empfänden. Ungarn werde den Beitritt der Ukraine zur EU solange nicht unterstützen, „wie das Land nicht lernt, auf europäische Weise zu regieren“, unterstreicht Bencsik.

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