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Über die dürftigen Aussichten der Opposition

6. Nov. 2023

Ein halbes Dutzend Oppositionsparteien arbeitet derzeit an der Herausbildung einer eigenen Identität, statt ihr bei den Wahlen 2022 gescheitertes Bündnis zu verteidigen. Vor diesem Hintergrund versuchen Kommentatoren aller Couleur, dem allen irgendeinen Sinn zu geben.

In einem Beitrag für das Wochenmagazin Mandiner begrüßt Mátyás Kohán die Entscheidung mehrerer Oppositionsparteien, nicht länger „die Rolle der Groupies im Dunstkreis der Demokratischen Koalition“ als der stärksten Partei von ihnen zu spielen. Die LMP-Leitfigur Péter Ungár sei der erste gewesen, der sich gegen den DK-Vorsitzenden Ferenc Gyurcsány aufgelehnt und erklärt habe, seine Partei werde sich nicht mehr darauf beschränken, Ministerpräsident Orbán an den Pranger zu stellen, sondern mit dem Aufbau einer atlantischen grünen Partei beginnen. Ágnes Kunhalmi, Ko-Vorsitzende der MSZP, habe angekündigt, die Sozialisten würden das Label sozialdemokratische Partei von der Demokratischen Koalition zurückfordern. Anna Donáth von Momentum schließlich habe betont, Gyurcsány sei ein Hindernis auf dem Weg zum Sturz der amtierenden Regierung. Vor diesem Hintergrund schlussfolgert Kohán, dass die Politik in Ungarn wieder spannend geworden sei, was eine gute Nachricht für die Rechte sein dürfte, die von einem echten Wettbewerb profitieren werde. Gut sei die Nachricht aber auch für die ungarische Demokratie sowie für die der Opposition zugeneigte Wählerschaft, die nicht mehr mit Gyurcsány vorlieb nehmen müssten.

Bei Jelen fordert Márk Áron Éber die linke Opposition auf, sie möge ihre basisdemokratische Anhängerschaft in den ländlichen Regionen stärken – also dort, wo der Fidesz derzeit keine wirkliche Konkurrenz zu fürchten habe. Die rechte Regierung könne nicht „von rechts“ besiegt werden, wie es die Opposition im vergangenen Jahr mit der Aufstellung eines konservativen Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten versucht habe. Die Opposition sei in einer, wie Éber es nennt, „Klassenfalle“ gefangen und spiele für die Klientel der städtischen Mittelschicht. Es existiere keine linke Strategie, ohne sich aus dieser Falle zu befreien, analysiert Éber.

Im linksliberalen Wochenmagazin Magyar Narancs wiederholt Anna Donáth ihre an die Adresse der Demokratischen Koalition gerichtete Schelte. Momentum sei gegründet worden, um die Fidesz-Regierung abzulösen, aber auch, um sich von der gesamten, „korrupten politischen Kultur Ungarns“ zu verabschieden. Die Politikerin räumt ein, dass ihre Partei durch das Wahlbündnis mit der Demokratischen Koalition vom vergangenen Jahr ein Zugeständnis gemacht habe. Mittlerweile jedoch habe sie erkannt, dass ein Regimewechsel ohne eine Änderung der politischen Kultur unmöglich sei, gibt Donáth zu Protokoll.

Gábor Bencsik erinnert daran, dass Momentum vor vier Jahren die drittstärkste politische Kraft in Ungarn gewesen sei und zwei ihrer Mitglieder ins Europäische Parlament habe entsenden können. In der Zwischenzeit, so fährt er im regierungsnahen Magazin Demokrata fort, hätten sich die führenden Köpfe der Partei eher durch Grabenkämpfe als durch originelle politische Ideen hervorgetan. Infolgedessen sagt Bencsik voraus, dass Momentum es schwer haben werde, bei den nächsten Wahlen die parlamentarische Fünf-Prozent-Hürde zu überspringen.

In der Wochenzeitung Élet és Irodalom warnt Tamás Mellár seine Leserschaft vor der Hoffnung, Ungarn könnte dem Beispiel der siegreichen polnischen Opposition folgen. „Der Warschau-Express rollt nicht nach Budapest“, schreibt der ehemalige Leiter des Zentralen Statistikamtes und jetzige Oppositionsabgeordnete, denn die wichtigsten ungarischen Unternehmen seien bereits integraler Bestandteil des Regimes und stünden hinter Ministerpräsident Orbán, im Gegensatz zu ihren polnischen Gegenüber, deren Geschäftswelt in viel geringerem Maße von der Regierung und erheblich stärker von den internationalen Märkten abhänge.

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