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Wochenpresse zum Machtgerangel in Polen

22. Jan. 2024

Zwei radikale sowie zwei gemäßigte Stimmen von beiden Seiten des politischen Spektrums bieten diametral entgegengesetzte Bewertungen der ersten, nicht unumstrittenen Maßnahmen der neuen polnischen Regierung zur Konsolidierung ihrer politischen Standpunkte.

Árpád W. Tóta begrüßt die Entscheidung der neuen polnischen Regierung, prominente Führungskräfte und Journalisten des öffentlichen Fernsehens zu entlassen. Das seien reine Propagandisten gewesen, die nie aufgehört hätten zu lügen, erklärt er im Wochenmagazin Heti Világgazdaság. Tóta befürwortet auch die Verhaftung des Innenministers der früheren Regierung samt seines Stellvertreters. (Beide waren wegen Machtmissbrauchs verurteilt, dann aber in einer umstrittenen Aktion vom Staatspräsidenten begnadigt worden – Anm. d. Red.) Ein Regimewechsel sei nur möglich, wenn man sich „des ganzen Unrats entledigt“, so Tóta. In Ungarn sei ein Regimewechsel wesentlich schwieriger, weil die Sünden der amtierenden Regierung viel schwerer und spektakulärer seien. Ausdrücklich beschuldigt der Publizist die Familie des Ministerpräsidenten, direkt in die Korruption verwickelt zu sein.

In Demokrata bezeichnet Zoltán Lomniczi die Maßnahmen der neuen polnischen Regierung als „verfassungsrechtlichen Staatsstreich“ und einen Großangriff auf die Rechtsstaatlichkeit des Landes. Die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union, so der Verfassungsrechtler weiter, würden der Polizei gerne beim Eindringen in den Präsidentenpalast unter die Arme greifen, wo die beiden Politiker der vorherigen Regierung verhaftet worden seien. Niemand sollte sich der Illusion hingeben, dass man nicht ebenso verfahren würde, sollte die heutige Opposition in Ungarn an die Macht kommen. Würde sie es jedoch versuchen, würden die Flammen des Protests in Budapest sofort wieder auflodern, warnt Lomniczi.

Edit Zgut Przybylska gesteht zu, dass die Meinungen in Warschau darüber auseinandergingen, ob die von der neuen Regierung ergriffenen Maßnahmen tatsächlich legal und verfassungskonform seien. In Élet és Irodalom erklärt die in Polen lebende ungarische Politologin allerdings, dass die neue Regierung das Erlassen neuer Gesetze für sinnlos erachte – um beispielsweise den Propagandisten Fernsehen loszuwerden –, da Präsident Andrzej Duda von der abgewählten Regierungsmehrheit diese sofort per Veto blockieren würde. Przybylska ist überzeugt, dass die neue Regierung politisch nicht gebundene Personen für die Leitung der öffentlichen Fernsehanstalt auswählen werde – im Gegensatz zu ihrer Vorgängerin, die dort ihre eigenen Vasallen platziert habe. Der nächste schwierige von der Regierung zu gehende Schritt dürfte nach Ansicht der Autorin die „Überprüfung des Status von Tausenden von Richtern sein, die von der vorherigen Regierung ernannt wurden“.

Gellért Rajcsányi von Mandiner macht darauf aufmerksam, dass es sich bei den Verlierern und den Siegern der Wahlen vom vergangenen Herbst in Polen um unversöhnliche Feinde handele. Theoretisch seien beide rechts, aber während die entmachtete Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) eine religiöse und konservative Bewegung geblieben sei, habe sich die Bürgerplattform, die wichtigste Komponente der neuen Regierungskoalition, in den vergangenen acht Oppositionsjahren zu einer immer liberaleren Kraft entwickelt. Dies gelte umso mehr, als sich radikale Liberale unter ihren Verbündeten befänden. Die Feindschaft zwischen diesen beiden Lagern habe sich seit der Wahl der neuen Regierung weiter verschärft. Rajcsányi fragt vor diesem Hintergrund, ob es sich bei den jüngsten politischen Auseinandersetzungen um Stolpersteine auf dem Weg zu einer friedlichen Machtübernahme oder um erste Episoden eines „kalten Bürgerkriegs“ handele.

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