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Russland errichtet in Ungarn Kernkraftwerksblöcke

16. Jan. 2014

Regierungsfreundliche Kommentatoren begrüßen das Kernenergiegeschäft zwischen Ungarn und Russland und begründen dies damit, dass es den nationalen Interessen Ungarns dienen werde. Linke Kolumnisten hingegen bemängeln die fehlende Transparenz sowie die zunehmende Abhängigkeit Ungarns von russischer Energie.

Am Dienstag vereinbarten Ministerpräsident Viktor Orbán und der russische Staatspräsident Wladimir Putin in Moskau, dass der staatliche russische Atomenergiekonzern Rosatom im ungarischen AKW Paks zwei weitere Reaktorblöcke errichten wird. Gleichzeitig brachten sie das Abkommen über das Pipeline-Projekt South Stream zum Abschluss (vgl. BudaPost vom 14. Dezember 2013). Zur Zeit decken die vier in Paks aktiven Kernreaktoren mit ihrer Gesamtleistung von 2.000 MW 40 Prozent des ungarischen Strombedarfs. Ihre bereits erweiterte Lebensdauer wird in den Jahren zwischen 2032 und 2037 enden. Der Bau der beiden neuen Blöcke mit einer Gesamtkapazität von 2.400 MW wird mittels eines russischen Kredits im Volumen von zehn Milliarden Euro finanziert, was 80 Prozent der gesamten Baukosten ausmacht. János Lázár, Staatssekretär im Amt des Ministerpräsidenten, erklärte, der Bau werde 10.000 Arbeitsplätze in Ungarn schaffen und die neuen Blöcke würden billigeren Strom bereitstellen. Im Jahr 2011 hatte sich die Opposition für eine langfristige Energiestrategie ausgesprochen, die unter anderem auch den Ausbau des AKW Paks vorsah. Nunmehr jedoch kritisiert die Opposition die Regierung, weil sie einen Vertrag ohne vorherige öffentliche Ausschreibung oder Diskussion über dessen Notwendigkeit abgeschlossen habe. Zudem wird beklagt, dass das Abkommen die Abhängigkeit des Landes von russischer Energie verstärken werde. Die finanziellen Einzelheiten, darunter die für den russischen Mega-Kredit zu zahlenden Zinsen, müssen noch ausgehandelt werden. Darüber hinaus muss das Vorhaben vom Parlament verabschiedet werden, um verwirklicht werden zu können.

In Magyar Nemzet begrüßt Gábor Stier den Atomkraftdeal, den er als einen Durchbruch für das Regierungsprojekt einer Öffnung Richtung Osten bezeichnet. Der regierungsfreundliche Kolumnist spricht sich dafür aus, dass, obgleich Ungarn zu Europa gehöre, das Land bei der Etablierung von wirtschaftlichen Beziehungen zu seinen Partnern außerhalb der EU eine pragmatische Politiklinie verfolgen sollte. Die Vereinbarung über die neuen Kernkraftwerksblöcke sei für das Land höchst vorteilhaft, da diese für bezahlbaren Strom sorgen und somit langfristig die Grundversorgung mit elektrischer Energie garantieren würden. Obgleich das Russland Wladimir Putins erneut zu einem wichtigen geopolitischen Akteur aufsteigen werde, lasse sich das Land in seinen Beziehungen zu Ungarn eher von wirtschaftlicher Besonnenheit als von imperialen Machtgelüsten leiten. In einer Randnotiz fordert Stier, dass der Vertrag transparent sein sollte, denn andernfalls würde er – ganz unabhängig davon, wie sinnvoll er sei – unweigerlich zum Ziel oppositioneller Kritik.

Weite Teile Europas, darunter Ungarn, seien von russischer Energie abhängig, schreibtGyula T. Máté in Magyar Hírlap. Da in der Region keine zur Verfügung stehende Alternative zu russischem Gas existiere, würden beide Projekte – Kernkraftwerksblöcke und South Stream – die ungarische Energiesicherheit stärken, betont der Autor und erinnert daran, dass der Bau von neuen Kernkraftwerksblöcken in Paks auch auf der Agenda der früheren sozialistischen Regierung gestanden habe. Allerdings habe sie sich mit keiner der möglichen Baufirmen verständigen können. Der regierungsfreundliche Kommentator ergänzt, dass das Geschäft die Möglichkeit für eine weitere künftige Zusammenarbeit im Bereich der Wirtschaft eröffnen werde, mittels derer Ungarn Zugriff auf russische Märkte erhielte. Da das Kernkraftwerk in Paks einstmals von sowjetischen Firmen erbaut worden sei, sei es nur vernünftig, dass die neuen Blöcke von Russen gebaut würden, bekräftigt Máté.

Miklós Bonta von der Tageszeitung Népszava erinnert an das Jahr 2008, in dem Viktor Orbán als Oppositionsführer der sozialistischen Regierung wegen der Unterzeichnung eines geheimen Abkommens mit Russland über die South Stream-Pipeline einen „Putsch gegen das ungarische Parlament sowie das eigene Volk“ vorgeworfen habe. Der linksorientierte Kommentator empfindet es als eigenartig, dass Regierungschef Orbán keinerlei Skrupel bei der Unterzeichnung eines ähnlichen, in aller Stille ausgehandelten Vertrags über das AKW Paks empfunden habe. Bonta fürchtet, dass das Geschäft hastig und ohne vorherige Ausschreibung vermittelt worden sei. Demnach gäbe es keine Garantie, dass es den ungarischen Interessen am besten dienen werde.

Nach diesem Geschäft könne Ungarn nicht mehr länger als eine Demokratie bezeichnet werden, wettert Népszabadság in ihrem Kommentar auf der Titelseite. Weiter schreibt die führende linke Tageszeitung, dass einer derartig wichtigen energiepolitischen Vereinbarung angemessene öffentliche Aussprachen und fachliche Diskussionen hätten vorausgehen sollen. Népszabadság vermutet, dass das Geschäft von Viktor Orbán ganz allein entschieden worden sei. Aufgrund fehlender Transparenz könne mögliche Korruption nicht ausgeschlossen werden. Mit Blick auf die Energiesicherheit fürchtet das Blatt, dass Ungarn aufgrund der Vereinbarungen über Paks und South Stream künftig noch abhängiger von Russland sein werde.

Für Magyar Narancs bildet das Geschäft den Abschluss der Bemühungen der Regierung Orbán um eine Wiedererrichtung des Kommunismus. Das liberale Wochenblatt glaubt, dass die Vereinbarung zum AKW Paks ein weiterer Schritt bei der Umkehrung des demokratischen Übergangsprozesses der vergangenen 25 Jahre sei. Als aus Sicht von Magyar Narancs vorausgegangene Maßnahmen werden benannt: das Mundtotmachen der unabhängigen Medien, die Zentralisierung von Entscheidungsprozessen, die Schwächung demokratischer Institutionen, die Beeinträchtigung des Rechtsstaatsprinzips, massive Verstaatlichungen von Privateigentum sowie die Einführung der ideologischen Indoktrination durch die Einführung von Ethik oder Religion als Pflichtfach in Grundschulen. „Das einzige, was bislang noch gefehlt hat, damit wir uns nicht so fühlen, als lebten wir unter dem Kommunismus, war die fehlende Abhängigkeit von Russland. Doch am 14. Januar wurde uns auch das geliefert, und zwar von Viktor Orbán“, tönt Magyar Narancs.

In Mandiner verweist Ákos Gergely Balogh darauf, dass zwischen den politischen Parteien Ungarns mit Ausnahme von LMP Einvernehmen darin bestanden habe, dass Ungarn auf Kernenergie angewiesen sei. Unter Verweis auf Népszabadság bemerkt der Zentrums-Blogger, dass die ungarische Regierung verschiedene internationale Experten und EU-Politiker (darunter den EU-Kommissar für Energie Günther Oettinger sowie den Präsidenten der EU-Kommission José Manuel Barroso) konsultiert habe. Demnach lasse sich das Geschäft nicht als hastig improvisiert bezeichnen. Dessen ungeachtet könne nicht als sicher vorausgesetzt werden, dass das Geschäft für Ungarn langfristig von Vorteil sei, denn künftige Energiepreise ließen sich unmöglich vorhersagen. Unvermeidbar ist für Balogh die Tatsache, dass das Geschäft Ungarn aufgrund der Erhöhung seiner Abhängigkeit von russischer Energie weiter dem russischen Einfluss aussetzen wird. Mit Blick auf den Streit über die Geheimhaltung des Geschäfts verweist der Autor auf mangelnde Kontinuität auf beiden Seiten: In vergangenen Oppositionszeiten habe Regierungschef Orbán Geheimgeschäfte heftig kritisiert, währen die linken Oppositionsparteien, die  nunmehr Transparenz forderten, in der Regierung vertrauliche Abmachungen noch unterstützt hätten.

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