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Gemeinsames Holocaust-Gedenken in Gefahr

13. Feb. 2014

Während jüdische Spitzenvertreter ihre Forderungen in einem Brief an den Ministerpräsidenten umrissen haben, äußert sich eine regierungsfreundliche Kommentatorin enttäuscht und bestürzt, dass die Chancen eines gemeinsames Erinnerns an den vor 70 Jahren begangenen Holocaust offenbar immer geringer wüden.

Siebzig Jahre nach dem Holocaust werden Frontlinien gezogen, Beleidigungen wiederholt und es herrscht ein latenter Kriegszustand“, schreibt Zusanna Körmendy in einem in bitterem Ton verfassten Leitartikel für Magyar Nemzet.

Am Sonntag hatte der Nationalrat jüdischer Gemeinden (Mazsihisz), der rund ein Zehntel der geschätzten 100.000 überwiegend assimilierten und säkularen ungarischen Juden vertritt, mit einem Boykott von Veranstaltungen im Rahmen des von der Regierung veranstalteten Gedenkjahres gedroht, falls seinen Forderungen nicht entsprochen werde (vgl. BudaPost vom 10. Februar).

In einem nachfolgenden Schreiben an den Ministerpräsidenten schlägt die Mazsihisz-Spitze einen gemäßigteren Ton an, der, wie Népszabadság berichtet, „in der jüdischen Gemeinschaft für massiven Unmut gesorgt hat“. Von den ursprünglich drei Forderungen werde kategorisch lediglich noch der Verzicht auf das Projekt „Haus der Schicksale“ verlangt, das an die dem Holocaust zum Opfer gefallenen Kinder erinnern soll. Stattdessen werde nunmehr eine Ausstellung zum Thema „ungarisch-jüdisches Zusammenleben von einst“ vorgeschlagen. Népszabadság zitiert den Historiker András Gerő, der diese Idee vehement ablehnt. Zur Begründung führt er aus, dass die ungarischen Juden weitgehend assimiliert gewesen seien und sich demzufolge selbst für Ungarn gehalten hätten. Eine derartige Unterscheidung zwischen den einzelnen Bürgern aufgrund ihrer Ethnie spiegele genau die Logik wider, die hinter dem Holocaust stehe, argumentiert Gerő.

Das „Haus der Schicksale“ sei das einzige Vorhaben gewesen, das man seitens moderater und gegenüber den beiden anderen Punkten kritisch eingestellter Konservativer für absolut hinnehmbar gehalten habe. (Bei den erwähnten beiden Punkten handelt es sich um eine Äußerung des Direktors eines kürzlich gegründeten historischen Forschungsinstitutes sowie das geplante Mahnmal in Erinnerung an die Besetzung Ungarns durch Nazi-Deutschland im Jahr 1944 – Anm. d. Red.) In seiner Kolumne auf Mandiner regt Chefredakteur Ákos Gergely Balogh an, dass die Regierung auf den Bau des umstrittenen Mahnmals verzichten sollte, während die jüdischen Spitzenvertreter ihren Widerstand gegen das Haus der Schicksale aufgeben sollten. „Ohne einen derartigen Kompromiss werden beide Seiten deutlich mehr verlieren“, warnt Balogh.

In ihrem bereits erwähnten Leitartikel für Magyar Nemzet bezeichnet es Zsuzsanna Körmendy als entmutigend, dass die jüngsten jüdischen Generationen offenbar sehr viel weniger zu Versöhnung und Verständigung neigten, als deren Väter und Großväter, also die tatsächlichen Überlebenden des Holocaust. Sie hätte eigentlich erwartet, dass die ungarischen Juden die Regierung gegen den unbegründeten Vorwurf des Antisemitismus zu einer Zeit in Schutz nehmen würden, in der die Regierenden im Rahmen eines beispiellosen Vorhabens ein ganzes Jahr der Erinnerung an den Holocaust widmen und deren ranghöchste Vertreter in einer nie dagewesenen Serie von Stellungnahmen die Schuld der ungarischen Behörden während des Holocaust einräumen würden. Körmendy bedauert es, dass die Debatte über das Gedenkjahr in der Hitze des Wahlkampfes stattfinde, was möglicherweise zu der Pattsituation beigetragen habe. „Wir könnten gezwungen sein, uns auf uns selbst gestellt an das Leiden unserer jüdischen Mitbürger zu erinnern“, resümiert Körmendy bitter.

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