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Hoffnungen und Ängste für die kommenden vier Jahre

14. Apr. 2014

Wird sich die kommende Orbán-Regierung eines gemäßigteren Tons bedienen? Wird sie sich in der Wirtschaftspolitik und bei symbolischen Auseinandersetzungen sowohl daheim als auch auf europäischer Ebene um Kompromisse bemühen? Eben diese Fragen treibt die Experten derzeit um. Im Folgenden eine Auswahl:

 

Kulturkriege und die Herausforderung durch die Rechtsextremen

„Noch ist Ungarn nicht verloren!“, schreibt Árpád W. Tóta in Heti Világgazdaság in Anlehnung an die ersten Zeilen der polnischen Nationalhymne. Der Liberale und für seine höchst eigensinnigen Texte bekannte Autor ist sich sicher, dass der rechts der Mitte angesiedelte Fidesz einen erbitterten symbolischen Kampf mit der rechtsextremen Partei Jobbik um die Herzen nationalistischer Wähler führen werde. Während sich die beiden Rechtsparteien gerade intensiv mit der historischen Vergangenheit beschäftigten, könne die Linke ihre Unterstützung wiedererlangen, indem sie sich auf wichtigere Themen konzentriere, glaubt der Kolumnist.

Die Regierung könne nach Belieben schalten und walten, schreibt János Szüdi in Népszava. Dem einstigen liberalen Unterstaatssekretär für das öffentliche Schulwesen schwant angesichts der erneut gewonnenen Zweidrittelmehrheit, dass die Regierung keinen Kontrollmechanismen ausgesetzt sein werde und demzufolge jedes ihrem Gusto entsprechende Gesetz verabschieden könne.

Auf Mandiner fordert Gellért Rajcsányi einen „New Deal“. Nach der in den vergangenen vier Jahren erfolgten Generalüberholung des politischen Systems benötige Ungarn eine ruhigere Phase, glaubt der in der politischen Mitte angesiedelte Kolumnist. Und das umso mehr, da ein wirtschaftliches und geistiges Wachstum Kompromisse und Stabilität erforderten, die wiederum sowohl eine effektive Kontrolle der Macht der Exekutive als auch die Bereitschaft der Regierung zu Vereinbarungen in eher symbolischen Angelegenheiten nötig machten.

 

Streit mit Schiffer um das Nazi-Invasionsmahnmal

In einem Interview mit dem linken Fernsehsender ATV hatte der Vorsitzende der grünen Partei LMP, András Schiffer, das geplante Nazi-Invasionsmahnmal als „fehlerhaft und fehlgeleitet“ bezeichnet. Die Entscheidung der Regierung, den Bau des Mahnmals weiterzuführen, nannte Schiffer „provozierend“ und „billig“, doch äußerte er gleichzeitig Kritik an den Reaktionen der Linken, die „unangemessen“ und „übertrieben hysterisch“ seien (vgl. BudaPost vom 12. April). Vorwürfe, die Regierung fördere die Leugnung des Holocaust, sind für den LMP-Chef unglaubliche Übertreibungen. Nach dem Interview wurde Schiffer von linken Intellektuellen heftig kritisiert. Einige drohten an, sie würden ihm ins Gesicht spucken, während ein prominentes Mitglied der Demokratischen Koalition von Ferenc Gyurcsány ihn gar als Nazi beschimpfte.

András Schiffer versuche, sich aus der Orbán-Falle zu befreien, bemerkt Albert Gazda auf Cink. Gazda glaubt, das umstrittene Mahnmal werde Ministerpräsident Orbán dabei helfen, die ungarische Öffentlichkeit davon zu überzeugen, dass seine Partei der Mitte von einer kleinen, aber lautstarken Rechtsextremen und einer ähnlich radikalen Linken herausgefordert werde. Der Streit um die Statue interessiere lediglich einige Intellektuelle in Budapest, behauptet Gazda. Ungeachtet der moralischen Bedeutung des historischen Gedächtnisses werde das Betreiben derartiger Anliegen der Linken nicht dabei helfen, verlorengegangene Unterstützung im Volk zurückzugewinnen. Linksorientierte Intellektuelle, die gegen die Statue protestierten, täten genau das, was Orbán von ihnen erwarte, während Schiffer aus diesem Kreis in dem Versuch ausbrechen wolle, die breitere Öffentlichkeit zu erreichen, schlussfolgert Gazda.

Anstatt auf schädliche und dämliche historische Streitereien sollte sich Fidesz mehr auf in Armut lebende Ungarn bar jeder Hoffnung konzentrieren, meint Bálint Ablonczy auf dem gemäßigt konservativen Blog Mandiner. Falls es dem Fidesz nicht gelingen sollte, durch die Schaffung von Arbeitsplätzen sowie eine verbesserte Sicherheit die Unterstützung der desillusionierten Massen zu gewinnen, würden sich die Bedürftigen von den Mainstream-Parteien abwenden und die rechtsradikale Jobbik-Partei unterstützen, warnt Ablonczy.

Mäßigung sei das, was wir zuerst und vor allem von der Regierung erwarten, heißt es in einem Leitartikel auf Mos Maiorum. Der konservative Blog erwartet vom Kabinett Kompromisse in Fragen mit symbolischer Bedeutung. Als ein Beispiel verweist Mos Maiorum auf das Nazi-Invasionsmahnmal und stellt in diesem Zusammenhang fest, es sei seitens der Regierung „mehr als unfreundlich“, den Bau der höchst umstrittenen Statue ohne weitere Konsultationen wieder aufzunehmen (vgl. BudaPost vom 12. April). Solche unnötigen Konflikte könnten die Wähler gut und gerne von der Regierungspartei entfremden, hält Mos Maiorum fest.

 

Haushalt und Wachstum

Iván Várkonyi von Népszabadság glaubt, dass die Dinge gut stehen für die nächste Fidesz-Regierung. Ungeachtet der nahenden Wahlen habe das Kabinett Orbán im ersten Quartal nicht zu viel Geld ausgegeben, stellt der linke Kolumnist fest. Das jedoch, so warnt Várkonyi, könnte sich bald ändern, da die Europawahlen im Mai und die Kommunalwahlen im Herbst die Regierung dazu zwingen könnten, die ihr geltende Unterstützung mittels verstärkter Ausgaben anzukurbeln. Zu hohe Ausgaben würden in der Folge weitere Sparpakete nach sich ziehen, die die lahmende Wirtschaft zusätzlich behindern könnten, schlussfolgert Várkonyi.

Der Fidesz habe im Wahlkampf kein Programm offenbart, denn es existiere keinerlei Vorstellung davon, wie es weitergehen solle, wird im Leitartikel von Magyar Narancs spekuliert. Die Pläne der Regierung hinsichtlich des Aufbaus eines nicht gewinnrientierten Energiesektors sowie der Etablierung von mehr Banken in ungarischem Besitz ließen sich nur durch höhere Ausgaben realisieren. Da jedoch das Wachstum schwächele, müsse sich die Regierung Geld borgen. Magyar Narancs fürchtet, dass die Regierung Zuflucht in einer verschärften nationalistischen Rhetorik suchen könnte, um die öffentliche Aufmerksamkeit von der zunehmenden Verarmung abzulenken.

Auf Mandiner drückt der konservativ-liberale Blogger Dobray seine Hoffnung auf eine „spirituelle Konterrevolution“ aus. Statt der Zentralisierungstendenzen der vergangenen vier Jahre fordert er Regionalisierung, Dezentralisierung sowie mehr Kompromisse in den Bereichen Wirtschaft, Kultur und Bildung, während er sich zugleich für Recht und Ordnung ausspricht. Zusätzliche Steuersenkungen könnten dabei helfen, die Rolle des Staates in der Wirtschaft zurückzudrängen, selbst auf die Gefahr weiterer Einschnitte bei den Sozialleistungen hin. Der Fidesz sollte sich allmählich wieder den marktkonformeren Prinzipien des ersten Orbán-Kabinetts der Jahre 1998 bis 2002 zuwenden, empfiehlt Dobray.

 

Europäische Union

Die Brüssel-Korrespondentin von Népszabadság, Eszter Zalán, notiert, dass die EU ungeachtet des – nach den Worten der Journalistin – unfairen Wahlgesetzes von einer Kritik am jüngsten Urnengang in Ungarn abgesehen habe. Sie erinnert daran, dass die Beobachter der OSZE in ihrem vorläufigen Bericht geäußert hätten, das neue Wahlrecht bevorzuge die Regierungspartei (vgl. BudaPost vom 8. April). Dessen ungeachtet hält es Zalán für unwahrscheinlich, dass die Europäische Union die ungarische Regierung verurteilen werde. Die Europäische Volkspartei könne es sich nur Wochen vor den Europawahlen nicht erlauben, Anhänger durch eine Auseinandersetzung mit dem Fidesz zu verlieren, erklärt die linke Autorin. Außerdem, so vermutet Zalán, könnten EU-Politiker annehmen, dass der Fidesz künftig weniger EU-feindlich auftreten werde, habe doch Ministerpräsident Orbán am Wahlabend geäußert, seine Partei sei das Bollwerk gegen die EU-skeptische Jobbik.

Auch in 168 Óra hält Endre Aczél Kritik der Europäischen Union oder Deutschlands ungeachtet der in den Augen des Verfassern undemokratischen und autoritären Wende in Ungarn für unwahrscheinlich. Mit Blick auf die ungarisch-deutschen Beziehungen verweist der linksorientierte Kolumnist darauf, dass Ungarn ein wichtiger Markt für Deutschland sei und eine große Zahl an in deutschem Besitz befindlichen Fabriken beherberge, die erhebliche Steuervergünstigungen genössen. Folglich wäre es unrealistisch zu erwarten, dass der erdrutschartige Fidesz-Wahlsieg die ungarisch-deutschen Beziehungen beeinträchtigen werde, schlussfolgert Aczél.

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