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Miskolc-Kontroverse belastet neue MSZP-Führung

21. Jul. 2014

Nach der Wahl von József Tóbiás zum neuen Parteichef der Sozialisten hagelt es von linken und rechten Analysten weiterhin harsche Kritik an MSZP und DK, da sie einen ehemaligen lokalen Polizeichef als Bürgermeisterkandidaten von Miskolc unterstützen, der durch seine umstrittenen Äußerungen über Roma-Kriminalität von sich reden gemacht hatte.

In einer Analyse der MSZP-Stammwählerschaft macht die konservative Denkfabrik Nézőpont („Perspektive“) darauf aufmerksam, dass die Entscheidung zugunsten des ehemaligen Polizeichefs die Behauptung des Fidesz legitimieren könnte, wonach dieser als mäßigende Kraft zwischen den zwei extremen Kräften Jobbik und MSZP stehe. (Pásztor war 2009 bekannt geworden, als er 100 Prozent aller Straßenüberfälle in Miskolc den Roma zuschrieb und hinzufügte, dass „eine Koexistenz mit unseren Minderheitsmitbürgern einfach nicht funktioniert“. Der damalige Ministerpräsident Gyurcsány äußerte daraufhin, diese Worte hätten ihm Übelkeit bereitet, sein Innenminister enthob Pásztor seines Postens. Auf Druck der örtlichen Sozialisten wurden er aber bald darauf wieder eingesetzt – Anm. d. Red.)
Nach Einschätzung von Nézőpont ist der sozialistischen Partei das Geld ausgegangen. Ihr organisatorisches Netzwerk versinke im Chaos, sie sei von innerparteilichen Kämpfen zwischen rivalisierenden Gruppen verzehrt und habe als Marke den Großteil ihres Wertes verloren. Tatsächlich habe die neue sozialistische Führung ein neues Programm sowie dynamischere landesweite Infrastrukturen angekündigt, dabei das Hauptproblem aber nicht benannt – wie die verlorene Wählerschaft zurückgewonnen werden könne. Die einzige Neuerung in diesem Bereich sei ihr „Law-and-Order“-Schwenk gewesen, erkennbar an der Unterstützung der Kandidatur Pásztors. Diese Personalie aber erhöhe die Gefahr, die aktuelle Identitätskrise der Partei noch weiter zu vertiefen. Die MSZP habe aus dem Wettbewerb mit Jobbik nicht viel zu gewinnen, heißt es in der Nézőpont-Analyse weiter. Deren jeweilige Wählerschaften seien vollkommen andersartig. Jobbik-Wähler gelten als jung, ländlich geprägt und nicht sehr gut ausgebildet, während Budapester, Universitätsabsolventen und Ruheständler innerhalb der MSZP-Wählerschaft überrepräsentiert seien. Lediglich fünf Prozent der möglichen Wähler räumen ein, für jede dieser beiden Parteien stimmen zu können, wobei sie hinsichtlich ihrer Wertorientierungen eher konservativ und rechtsorientiert erschienen. Indem man sie nun jedoch mit Anti-Roma-Attitüden umwerbe, riskiere die MSZP einen noch viel größeren Verlust innerhalb ihrer Kernwählerschaft, glaubt Nézőpont.

Empört gibt sich Sándor Révész in Népszabadság. Grund für seinen Ärger ist die jüngste Idee von Pásztor, das „System der Woiwoden“ wieder einzuführen, um die Roma-Bevölkerung zum Einhalten der Gesetze zu bewegen, schließlich „hatte sich dieses System über Jahrhunderte bewährt“. Auch Sklaverei habe sich bewährt, ätzt der liberale Analyst. Problem sei nur, dass die modernen Gesellschaften auf gleichen Rechten für alle Bürger basierten. Zudem erinnert er den ehemaligen Polizeichef daran, dass die Woiwoden keine echten Zigeunerführer gewesen seien, sondern die Erfindung der österreichisch-ungarischen Behörden im 19. Jahrhundert. Sie seien von den lokalen Verwaltungen ernannt und für jeden Gesetzesverstoß ihres Volkes verantwortlich gemacht worden. Sie seien von den Roma selbst größtenteils als Agenten der Gendarmerie betrachtet worden. Im modernen Ungarn müsse gleiches Recht für alle gelten, mahnt Révész.

Mit der Unterstützung von Pásztors Kandidatur hätten MSZP und DK das Recht verwirkt, für demokratische Werte zu stehen, meint Zoltán Miklósi auf Szuvéren. Pásztor habe seine damaligen Äußerungen nicht nur niemals zurückgezogen, sondern erst jüngst geäußert, dass hinter den überwiegend von Roma begangen Straftaten mehr als nur Armut stecke. „Mit anderen Worten glaubt Pásztor, dass kriminelle Neigungen von der Ethnie bestimmt werden.“ Miklósi zitiert auch DK-Chef Ferenc Gyurcsány, der gefragt hatte, ob „zuzüglich zu Armut und schrecklichen rassistischen Vorurteilen nicht noch etwas anderes im Hintergrund stehe“. Der liberale Philosoph leugnet nicht, dass bestimmte Verbrechen größtenteils von Roma verübt würden, gleichzeitig aber verurteilt er den Begriff „Zigeunerkriminalität“, denn dieser werde von den meisten Leuten so verstanden, dass alle Zigeuner Kriminelle seien und sie deshalb das Gesetz überschreiten würden, weil sie eben Zigeuner seien. In erster Linie aber lehne er Pásztors Kandidatur ab, weil sie die Botschaft aussende, dass der Mann, der am ehesten mit den ethnischen Konflikten in Miskolc klarkommen könnte, ein ehemaliger Polizist sei. Miklósi lobt die landesweite Führung von Gemeinsam-PM, die ihre Unterstützung für die Kandidatur zurückgenommen und damit „einen Rest der verlorenen Ehre der Linken gerettet“ habe. Jedoch fordert er die Nominierung eines Gegenkandidaten, andernfalls würden sie die beschämende Botschaft aussenden: „Dem Fidesz den Posten des Bürgermeisters abzujagen ist wichtiger, als eine aufrichtige anti-rassistische linke Politik zu betreiben.“ Welchen Sinn hätte ein Sieg bei diesen Wahlen ohne eine solche Politik im Gepäck?, fragt der Autor.

In 168 Óra (Druckausgabe) nennt Tamás Mészáros den Fall „besorgniserregend“. Die Unterstützung von Pásztors Kandidatur sei nur eine populistische Maßnahme. Dabei sollte sich die demokratische Opposition von ihren politischen Gegnern zunächst und vor allem durch „authentische Werte“ unterscheiden. Mészáros fragt in diesem Zusammenhang auch, ob der Linksaktivist Márton Gulyás mit dem Versuch, am letzten Wochenende eine DK-Veranstaltung zu „hacken“, nicht Recht gehabt habe (vgl. BudaPost vom 15. Juli). Der Umstand aber, dass er von selbsternannten Demokraten physisch angegangen worden sei, bilde den Beleg für eine „schamlose Intoleranz seitens der Parteiaktivisten“. Mészáros kritisiert auch Ferenc Gyurcsány, der sich später bei Gulyás entschuldigt hatte, aber vor Ort hätte reagieren sollen. Linke Politiker und Aktivisten, beschwert sich der Autor, seien nach wie vor unfähig und vielleicht sogar unwillig, ihre Divergenzen zu diskutieren oder gegenseitige Zugeständnisse zu machen, um mit einer politischen Alternative aufzuwarten. Diese Art von Rivalität spiele in die Hände der Fidesz-Regierung, schließt Mészáros seine Ausführungen.

Péter Farkas Zárug, der an der Miskolcer Universität Politikwissenschaften unterrichtet, äußert in der Druckausgabe von Demokrata die Vermutung, dass die Entscheidung für Pásztor durch die auffallend guten Leistungen des amtierenden Fidesz-Bürgermeisters veranlasst worden sei. Ákos Kriza habe vor Ort historische Gebäude renovieren lassen, bedeutende Investitionsbeträge an Land gezogen und gleichzeitig die Schulden der Stadt zurückgezahlt. Nun habe er sich dem Kriminalitätsproblem zugewandt und Einwohner umgesiedelt, die über keinen offiziellen ständigen Wohnsitz in Miskolc verfügten. Er habe damit begonnen, die heruntergekommen Ghettos abzubauen, und 30.000 Unterschriften zur Unterstützung seiner Politik in der 160.000-Einwohner-Stadt gesammelt. Albert Pásztor habe laut Zárug zunächst versucht, sich Jobbik und Fidesz anzudienen, bevor er sich entschlossen habe, als unabhängiger und von den Linksparteien unterstützter Kandidat ins Rennen zu gehen. „Sie wollten beweisen, dass auch sie auf der Seite von Recht und Ordnung stehen.“

In der Druckausgabe von Magyar Nemzet nennt Dávid Megyeri die Pásztor-Kandidatur ein Beispiel von „Machiavellistischem Abenteurertum“, das sich mit Blick auf neue Anhänger nicht auszahlen werde, da Jobbik-Wähler nicht geneigt seien, für die Sozialisten zu stimmen, während die Mitte-Rechts-Wählerschaft sie in der Folge noch abstoßender empfinden würde. Megyeri vermutet den Ursprung der Idee in Frankreich, wo Präsident Hollande versucht habe, seine extrem rechte Rivalin Marine Le Pen zu „neutralisieren“, indem er „auf der Zielgeraden des Wahlkampfes die rassistische Karte spielte“. Zudem habe Hollande Manuel Valls zum Ministerpräsidenten ernannt, der als Innenminister die massenhafte Abschiebung rumänischer und bulgarischer Roma veranlasst hatte. Seitdem habe der Beliebtheitsgrad der französischen Sozialisten ein neues Rekordtief erreicht, merkt Meygeri an.

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