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Merkels Ungarn-Visite im Spiegel der Wochenpresse

2. Sep. 2019

Über eine Woche nach dem Besuch der deutschen Kanzlerin in Sopron und ihren lobenden Worten zur ungarischen Nutzung europäischer Struktur- und Kohäsionsfonds frohlockt ein regierungsfreundlicher Kolumnist noch immer. Linke und liberale Autoren dagegen fühlen sich hintergangen.

In einem Beitrag für das Wochenmagazin Demokrata bezeichnet Péter Bándy die Lobpreisungen von Bundeskanzlerin Merkel (siehe BudaPost vom 22. August) als besonders schmerzhaft für die Opposition. Immerhin hätten linksliberale Politiker und Publizisten immer wieder Korruptionsvorwürfe gegen die Regierung vorgebracht – nicht zuletzt im Zusammenhang mit der Verwendung europäischer Finanzhilfen. Mit Merkels Feststellung, Ungarn würde diese Mittel in einer das Leben der Bevölkerung verbessernden Art und Weise einsetzen, habe sie die ungarische Regierung für etwas gepriesen, womit die Opposition den Ruf der Regierung stets und ständig beschmutze. Im Einklang mit dem Politologen Örs Farkas bezeichnet Bándy es als eigentümlich, dass die Opposition von ausländischen Politikern die Lösung ihrer eigenen Probleme erwarte. Mit anderen Worten: Die Opposition sollte sich mehr um ihre eigene Arbeit kümmern und weniger um Stellungnahmen von Bundeskanzlerin Merkel.

In einem sich über zwei Seiten erstreckenden Artikel für Magyar Narancs wirft der ehemalige liberale Parlamentsabgeordnete Tamás Bauer den Regierenden vor, sie würden die entscheidenden Ereignisse während des Übergangs zur Demokratie vor 30 Jahren verfälschen. Massiv kritisiert der heutige Anhänger der oppositionellen Demokratischen Koalition die Interpretation des damaligen Geschehens durch Ministerpräsident Viktor Orbán, dessen Jahrestag er am 19. August gemeinsam mit Angela Merkel begangen hatte. (Laut Orbán hatte man seinerzeit gemeinsam mit den ostdeutschen Flüchtlingen den Ungarn von Österreich trennenden „Gefängniszaun“ durchbrochen – Anm. d. Red.)
In Wirklichkeit, so Bauer, habe die Grenzpolizei die Dutzenden von Ostdeutschen die Grenze deswegen passieren lassen, weil ihnen die Regierung dies erlaubt habe. Die gleiche Regierung habe später Zehntausende von ostdeutschen Flüchtlingen ziehen lassen, erinnert Bauer. Der Ministerpräsident jener Regierung, Miklós Németh, sei noch am Leben, und Bauer hält es für nicht hinnehmbar, dass Németh, statt zur Zeremonie eingeladen zu werden, nur angeboten worden sei, im Rahmen einer Podiumsdiskussion zu sprechen – eine Offerte, die er „natürlich abgelehnt“ habe. Unter diesen Bedingungen „ist es bedauerlich“, dass Merkel das Verhalten und die Interpretation der Regierung zu den Ereignissen von 1989 praktisch legitimiert habe, notiert Bauer.

Im Wochenmagazin 168 Óra interpretiert Chefredakteur Ákos Tóth die Ausführungen Angela Merkels als eine wohlmeinende Geste an die Adresse von Ministerpräsident Viktor Orbán. Dieser Gefallen habe etwas damit zu tun, dass Orbán die Wahl der Merkel-Kandidatin für das Amt als Chefin der EU-Kommission – Ursula von der Leyen – unterstützt habe. Einen weiteren Grund sieht Tóth „in der bestmöglichen und zuweilen ein vernünftiges Maß übersteigenden Unterstützung in Ungarn aktiver deutscher Unternehmen“ durch die Budapester Regierung. Die Lehre, die Tóth aus der Geschichte zieht, lautet dann auch: All jene, die vom „Big Brother” die Lösung der von Ungarn selbst nicht zu lösenden Probleme sowie die Erlösung Ungarns von Viktor Orbán erwarten würden – den sie doch selbst an die Macht gewählt hätten – seien von den Ereignissen des Jahrestages, wie nicht anders zu erwarten, überrascht worden.

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