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Entschädigung von Häftlingen und Roma weiter im Fokus

27. Jan. 2020

In Wochenblättern sowie Wochenendausgaben von Tageszeitungen wird das Vorhaben der Regierung diskutiert, die Entschädigungszahlungen für klagende Gefängnisinsassen sowie gesondert unterrichtete Roma-Kinder auszusetzen. Dabei werfen sich regierungsfreundliche sowie oppositionsnahe Blätter und Onlinemedien gegenseitig das Schüren von Hass und eine Gefährdung der verfassungsmäßigen Ordnung vor.

András Bencsik kommentiert den Streit um die Entschädigung von segregierten Roma-Kindern (siehe BudaPost vom 13. und 20. Januar) sowie Gefängnisinsassen, die vor Gericht eine Entschädigung wegen unzumutbarer Haftbedingungen (siehe BudaPost vom 21. Januar) erstritten hatten. Der Chefredakteur von Magyar Demokrata wirft Oppositionspolitikern und dem „Soros-Netzwerk“ vor, Gerichte für das Einheimsen öffentlicher Gelder zu missbrauchen. Der regierungsfreundliche Publizist vermutet, dass auch bei den Kommunalwahlen 2019 von der Opposition übernommene Städte mittels Korruption Geld absaugen würden. Insgesamt behauptet Bencsik, dass es der Opposition und ihrem intellektuellen Hinterland lediglich ums Reichwerden gehe.

Auf Látószög macht Judit B. Varga geltend, dass die Segregation von Roma-Kindern auch ihren Interessen diene. Die konservative Historikerin argumentiert: Getrennte Klassenräume würden sowohl Nicht-Roma als auch Roma helfen, ihre gegenseitigen Stereotypen zu überwinden und auch benachteiligten Roma-Kindern eine gezielte Schulbildung zu bieten, weshalb die Segregation als ein Beispiel für positive Diskriminierung betrachtet werden sollte. Varga fügt hinzu, dass die von Kirchen durchgeführten de facto getrennten Bildungsprogramme für arme Roma-Kinder in Ungarn sehr erfolgreich gewesen seien.

Die Opposition und multinationale Unternehmen würden die Roma und die klagenden Häftlinge dazu missbrauchen, der Regierung Diskriminierung in die Schuhe zu schieben. Diese Ansicht vertritt József Horváth von der regierungsnahen Tageszeitung Magyar Nemzet. Nach den gescheiterten Versuchen, die Regierung mit Hilfe des Vorwurfs der Misshandlung von Migranten zu schwächen, wollten Menschenrechts-NGOs nunmehr ethnisch motivierten Hass schüren. Ihre Vorgehensweise sei „ein offener Angriff auf die ungarische Verfassungsordnung“, behauptet Horváth.

In seinem Wochenleitartikel macht Magyar Narancs Ministerpräsident Viktor Orbán den Vorwurf, er würde angesichts der aktuellen Flaute in der Migrationskrise Häftlinge und Roma zur Mobilisierung von Anhängern benutzen. Dafür bediene er sich dem Mittel der Angstmacherei sowie einer polarisierenden Rhetorik. Das liberale Blatt hält die Behauptung, das „Soros-Netzwerk“ würde die Haftbedingungen sowie die ethnische Segregation an Schulen zum eigenen finanziellen Vorteil ausschlachten, für eine veritable Verschwörungstheorie. In einer Randnotiz behauptet Magyar Narancs, dass Orbán seine Äußerungen über die Entschädigung segregierter Roma bei „neonazistischen“ rechtsextremen Politikern entlehnt habe.

Sándor Révész von Heti Világgazdaság interpretiert die Pläne des Regierungschefs, bestimmte Entschädigungszahlungen auszusetzen, als einen Ausdruck dafür, dass er über dem Gesetz stehe. Der liberale Autor behauptet sogar, die Regierung habe sich gegen den Rechtsstaat erhoben. Die Regierung kündige de facto eine Bewegung des zivilen Ungehorsams an, da sie ihrem Geschmack zuwiderlaufende Gesetze solange nicht ändern könne, solange Ungarn Mitglied der Europäischen Union sei, notiert Révész.

Auf 444 erinnert Péter Magyari daran, dass die Entschädigung von Gefangenen durch ein von der Regierung 2016 erlassenes Gesetz ermöglicht worden sei. Zudem weist der liberale Kolumnist darauf hin, dass die Regierung das neue Gesetz über die Entschädigung von Häftlingen, die unter schlechten Bedingungen gehalten werden, erlassen habe, um europäischen Gerichtsverfahren zuvorzukommen.

Auch nach Ansicht von Róbert Friss möchte sich Ministerpräsident Viktor Orbán über das Gesetz stellen, indem er die Gerichtsurteile ignoriert. Der Kommentator der linken Tageszeitung Népszava bezeichnet das Vorgehen der Regierung als „den letzten Nagel im Sarg des Rechtsstaates“. Er wirft Orbán vor, die institutionelle Ordnung des ungarischen Staates zu ignorieren. Die Regierungspartei befürchte offenbar, dass sie bald von der Macht verdrängt werden könnte, lautet die Interpretation der jüngsten Ereignisse durch Friss.

Auf dem Informationsportal Index schreibt Attila Rovó, dass der Ministerpräsident nach neuen Feinden Ausschau halte, mit denen er seine Basis bei der Stange halten könnte. Die Regierung und ihre Medien, so der liberale Analyst, ersetzten Migranten durch Gefängnisinsassen und Roma, behielten aber das „Soros-Netzwerk“ als Sündenbock bei. Diese Strategie könnte sich tatsächlich auszahlen, da sowohl Roma als auch Häftlinge höchst unbeliebt seien und daher die Opposition von deren Verteidigung nichts zu gewinnen habe.

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