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Wochenzeitungen über oppositionsinterne Streitigkeiten

4. Oct. 2021

Kommentatoren aller Couleur erörtern die Frage, ob die Opposition nach einem Wahlsieg 2022 das Grundgesetz selbst beim Fehlen einer dazu nötigen Zweidrittelmehrheit aufheben könnte bzw. würde.

Der Chefredakteur von Magyar Demokrata, András Bencsik, bezweifelt, dass Gergely Karácsony als Ministerpräsident bei einer Neuordnung des Verfassungssystems mehr Zurückhaltung an den Tag legen würde als Klára Dobrev von der Demokratischen Koalition. Der regierungsnahe Publizist erinnert daran, dass Dobrevs Vorschlag, im Falle ihrer Wahl zur Regierungschefin das Grundgesetz auch dann aufzuheben, wenn sie über keine Zweidrittelmehrheit verfügen sollte, von Karácsony als „absurder Humbug“ abgetan worden sei. (Für frühere Kommentare zu diesem Problem siehe BudaPost vom 2. und 3. Juni.) Karácsony habe mit seiner Andeutung, er werde Rechtsstaatlichkeit respektieren und die Nation wiedervereinigen, ein „menschlicheres Gesicht“ zeigen wollen, vermutet Bencsik und geht dennoch sicher davon aus, dass der amtierende Oberbürgermeister von Budapest selbst nicht zögern würde, „die Demokratie zu entwurzeln“, falls er an die Macht kommen sollte.

Die Opposition werde im Falle eines Wahlsiegs im April 2022 ein sehr heikles verfassungsrechtliches Dilemma überwinden müssen, stellt Richard Szentpéteri Nagy fest: Einerseits müsse sie sofort einen Weg zur Umgehung des Grundgesetzes ausfindig machen, um regieren zu können. Um jedoch eine neue Verfassung zu entwerfen, benötige sie Zeit für die Ausarbeitung eines Textes, der eine breite Unterstützung finde, notiert der Kolumnist des Wochenmagazins 168 Óra. Szentpéteri Nagy vertritt die Auffassung, dass die Opposition selbst für eine Verfassungsänderung eine Zweidrittelmehrheit benötigen werde. Für die Verabschiedung einer komplett neuen Verfassung sei sogar noch mehr erforderlich.

Dániel Antal pflichtet Klára Dobrev bei, dass die Opposition das Grundgesetz nach dem Sieg bei den Parlamentswahlen im April 2022 sofort aufheben sollte. In Magyar Narancs schreibt der linksliberale Publizist, dass das Nazi- und das kommunistische Regime sowie das Apartheidsystem in Südafrika beseitigt worden seien, ohne Kompromisse einzugehen oder mit den früheren illegitimen Regimen zu verhandeln. Wie Dobrev ist auch Antal überzeugt, dass das derzeitige Regime ohne kompromisslose und einseitige Schritte seine politische Macht auf der Grundlage verlagerter öffentlicher Gelder in wirtschaftlichen Reichtum verwandeln werde. Folglich würde jedwede Zögerlichkeit bei der Abschaffung des Grundgesetzes die Wiederherstellung der Volkssouveränität zusätzlich erschweren.
Antal räumt ein, dass der „Sturz von Diktatoren“ ein riskantes Unterfangen darstelle, da er zur Tyrannei der Mehrheit führen könne. Doch ist er auch der Auffassung, dass die Opposition die Rechtsstaatlichkeit nicht wiederherstellen könne, indem sie die derzeitige eben diese Rechtsstaatlichkeit missachtende Verfassung respektiere. Abschließend räumt Antal ein, dass der gemäßigtere Ansatz von Karácsony für die Wähler ebenso attraktiv sein könnte wie die radikalen und antagonistischen Ideen von Dobrev. Allerdings hält er Letztere für vernünftiger.

Zoltán Lomnici Jr. bezeichnet in einem Kommentar für Magyar Nemzet die Andeutung, dass die Opposition das Grundgesetz auch ohne Zweidrittelmehrheit aufheben könnte, als eine Aufforderung zum „Verfassungsputsch“. Der regierungsnahe Verfassungsrechtler weist darauf hin, dass Imre Vörös, einer der eine solche Möglichkeit verfechtenden linken Anwälte, als Richter am Obersten Gerichtshof gewirkt und 1999 zugestimmt habe, dass mit Zweidrittelmehrheit verabschiedete Gesetze nicht per einfacher Mehrheit verändert oder aufgehoben werden könnten. Es sei empörend, dass linke Intellektuelle und Rechtsexperten grundlegende demokratische Normen verletzen und die Rechtsstaatlichkeit aussetzen würden. Lomnici Jr. erinnert daran, dass solche Maßnahmen von den Bolschewiken und anderen ihrer kommunistischen Anhänger ergriffen worden seien. Der Autor schließt mit einem Aufruf an die Wähler, sie aufzuhalten und dafür zu sorgen, dass sie die Parlamentswahlen im April nächsten Jahres nicht gewinnen.

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