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Über den Bedeutungsverlust des religiösen Glaubens

9. Oct. 2023

Nach Ansicht eines liberalen Kommentators nimmt die Zahl der Gläubigen in Ungarn ab, weil die Botschaft des Evangeliums für moderne Menschen immer weniger glaubwürdig sei. Ein konservativer Kolumnist hingegen fordert religiöse Führer und Denker auf, sie mögen sich ernsthaft an eine Fehleranalyse heranwagen.

Wie BudaPost im September berichtet hatte, zeigte die landesweite Volkszählung des Jahres 2021 einen starken Rückgang der Zahl derjenigen Menschen in Ungarn, die sich als gläubig bezeichnen (siehe BudaPost vom 30. September). Aus den jüngst veröffentlichten detaillierten Volkszählungsergebnissen geht hervor, dass nur noch knapp die Hälfte aller Ungarn einer religiösen Konfession angehört. Vor zwanzig Jahren belief sich ihr Anteil noch auf 75 Prozent. Die katholische Kirche, Ungarns größte Religionsgemeinschaft, hat in den letzten zwei Jahrzehnten 900.000 Gläubige verloren und repräsentiert nur noch 30 Prozent der Bevölkerung (2001: 55 Prozent).

Die verbleibende Zahl der Ungarn, die nach eigenem Bekunden einer der Kirchen angehören würden, liege um ein Vielfaches höher als die Zahl derer, die tatsächlich an Gottesdiensten teilnähmen. Das schreibt Árpád W. Tóta in Heti Világgazdaság. Er weist linke und liberale Erklärungsmuster zurück, die das Schwinden des religiösen Glaubens auf die auffällige Loyalität der großen Kirchen gegenüber der rechten Regierung zurückführen. Tatsächlich, so erklärt Tóta, sei die Säkularisierung ein weit verbreitetes Phänomen in der gesamten westlichen Welt, zu der auch Ungarn gehöre. Auch progressive Gemeinden mit einem Hang zur Liberalität seien von diesem Prozess durchaus nicht ausgenommen. Der liberale Publizist vermutet, dass es die christliche Mythologie selbst sei, die an dieser Stelle versage: Heutzutage sei es einfach schwieriger zu glauben, dass Jesus die Chronik unserer vorehelichen sexuellen Erfahrungen und so weiter aufbewahre. Falls ein Schöpfer existiere, so Tóta weiter, hätten die Menschen vor Tausenden von Jahren seine Botschaft nur missverstehen können. Mit Blick auf Ungarn behauptet Tóta, dass die Regierung aus ihren herausgehobenen Beziehungen zu den christlichen Kirchen keinen nennenswerten Nutzen mehr werde ziehen können, sobald der religiöse Glaube für die Mehrheit nicht mehr wichtig sei.

In einem Artikel für das Magazin Mandiner bemerkt Gellért Rajcsányi, dass während der 40 Jahre des Kommunismus die Zahl der sich als Katholiken bezeichnenden Ungarn ungeachtet aller antireligiösen Unterdrückung und Propaganda stabil geblieben sei. Erstaunlicherweise habe mit der völligen Freiheit des Glaubensbekenntnisses und der religiösen Praxis keine neue Blütezeit, sondern eine Ära sich verkleinernder Religionsgemeinschaften eingesetzt. Dieses Phänomen erstrecke sich auf die gesamte westliche Welt. Rajcsányi widerspricht deutlich jenen Stimmen, die vor diesem Phänomen die Augen zu verschließen versuchen und das Thema denjenigen überlassen möchten, die mit dem Christentum nur wenig gemein haben. Einige Christen, wie der US-Amerikaner Rod Dreher, hielten diesen Prozess für irreversibel und rieten, dass Christen kleine, aber mächtige Gemeinschaften von Gläubigen in den zukünftigen säkularen Gesellschaften aufbauen sollten. Andere hingegen zeigten sich durchaus noch optimistisch und äußerten die Hoffnung auf eine Art geistiges und intellektuelles Wiederaufleben des Christentums. Er selbst wisse nicht, was die Zukunft bringen möge. Jedoch spricht sich Rajcsányi dagegen aus, so zu tun, als ob nichts Gravierendes geschehe. Die Kirchen sollten daher versuchen, Antworten auf die Fragen unserer Zeit zu finden, „bevor alles vom postmodernen Heidentum überschwemmt wird“, schließt der Kolumnist.

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