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Wochenpresse zum Recht auf Sterben

4. Dec. 2023

Links- wie auch rechtsorientierte Kommentatorinnen und Kommentatoren unterstützen den Kampf eines todkranken Patienten vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte um das Recht auf ein Sterben in Würde.

Vergangene Woche wurde vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte der Fall des Rechtsanwalts Dániel Karsai verhandelt. Der Kläger leidet an ALS, einer neurodegenerativen Krankheit, die bereits für schwere Beeinträchtigungen seiner Muskeln sowie seiner Sprechfähigkeit sorgt. Karsai hat den ungarischen Staat verklagt. Hintergrund ist dessen Weigerung, unheilbar kranken Patienten in einem Stadium hoffnungslosen Leidens Sterbehilfe zu gewähren (siehe BudaPost vom 30. November).

In Jelen berichtet Henriett Biczó, dass sich dem Prozess Dr. Karsais zwei weitere ALS-Patienten angeschlossen haben. Ihren Angaben zufolge kämpfen sie nicht nur für ihr eigenes Recht auf ein Sterben in Würde, sondern für alle, die gegenwärtig oder zukünftig mit ähnlichen Problemen konfrontiert seien. Selbst wenn das Gericht – wohl frühestens Ende Januar 2024 – zu ihren Gunsten entscheiden sollte, könnte es für sie zum Zeitpunkt der Verabschiedung eines entsprechenden Gesetzes bereits zu spät sein. Sie könnten durchaus sterben, bevor der Gesetzgeber eine so komplizierte Angelegenheit regeln könne, befürchtet Biczó. Dr. Karsai selbst erklärte gegenüber der Reporterin, dass er und die beiden anderen den ungarischen Staat verklagenden ALS-Patienten letztendlich die Märtyrer des Kampfes für das Recht auf ein Sterben in Würde sein würden – nicht jedoch dessen Nutznießer.

András Lányi beklagt, dass die Regierung im Falle eines Sieges der drei ALS-Patienten vor Gericht einer weiteren gesamteuropäischen Institution kontrovers gegenüberstehe und somit der ganze Streit im Kontext des so genannten Souveränitätskampfes stattfinde, den die Regierung gegen die europäischen Eliten führe. In Magyar Hang äußert Lányi daher die Befürchtung, dass kein angemessener Dialog über dieses heikle Thema möglich sein werde. Im Übrigen vertritt er die Auffassung, dass die Regierung im Widerspruch zur Mehrheit der Bürger stehen könnte. Immerhin seien laut Meinungsumfragen die meisten Ungarinnen und Ungarn mit der Idee des „guten Todes“ einverstanden. Zudem könne eine gründlich durchdachte Gesetzgebung die Möglichkeit ausschließen, dass das Euthanasiegesetz für gemeinschaftlich begangene Suizide missbraucht werde, ist Lányi überzeugt.

In einem Demokrata-Leitartikel, der die Haltung der Regierung ausnahmsweise einmal kritisch hinterfragt, bringt András Bencsik volles Verständnis für die Argumentation von Dr. Karsai zum Ausdruck: Das Endstadium von ALS sei für den betroffenen Patienten tatsächlich unglaublich entwürdigend. Bencsik räumt ein, dass es sich hierbei um ein äußerst heikles Thema handele, und er vergleicht es mit dem moralischen Dilemma, das durch das Problem der Abtreibung entstehe. Denn obwohl die Zulassung der Abtreibung moralisch gesehen unzulässig wäre, würden die Regierungen vor einem Verbot zurückschrecken, wollten sie doch nicht mit der Mehrheitsmeinung des Wahlvolkes kollidieren. Das Beispiel Polens, wo die konservative Regierung in diesem Herbst abgewählt worden sei, belege, dass Regierungen mit einem Abtreibungsverbot auf heftigen Widerstand stoßen könnten, erinnert der Chefredakteur des Wochenmagazins. Daher versuchten sich die meisten Regierungen an einen Kompromiss auf halbem Weg zwischen einem Verbot und der Möglichkeit der Abtreibung. Wenn sie jedoch in dieser Frage kompromissfähig seien, warum gelinge ihnen das nicht bei denjenigen, die durch die ALS-Krankheit bereits zum Tode verurteilt seien? Nur weil es sich dabei um relativ wenige Menschen handele, die im Gegensatz zu den Abtreibungsbefürwortern nicht über den Ausgang einer Wahl entscheiden könnten? Abschließend brandmarkt Bencsik diese Verweigerung als „eine heuchlerische und doppelzüngige Haltung“.

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