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Kommt eine große Anti-Orbán-Koalition?

14. Mar. 2016

Zeichnet sich am Horizont eine „technische“ Koalition der Oppositionsparteien ab? So lautete die heiß diskutierte Frage vor dem Hintergrund von Gedankenspielen eines bekannten linken Publizisten, die am vergangenen Dienstag auf hvg.hu erschienen waren.

Politisch interessierte Unternehmer und einflussreiche Kreise spielten mit der Idee, inwiefern eine lockere Koalition aus Jobbik, LMP und MSZP den Fidesz bei den kommenden Parlamentswahlen besiegen könnte, heißt es in einem von Miklós Gáspár Tamás verfassten Kommentar für hvg.hu. Der linke Publizist nennt keine Quellen für seine These, sondern spricht eher vom „Tratsch in der Stadt“. Allerdings werde die „Idee“ nicht zuletzt durch eine Reihe von Gesten seitens der Jobbik-Partei „massiv“ gestützt, die sich um eine Öffnung in Richtung LMP- und MSZP-Wähler bemühe. Im Folgenden stellt Tamás einige Beispiele für diesen Trend zusammen: So unterstütze Jobbik die „Lehrerrebellion“ (vgl. BudaPost vom 22. Februar), habe „rechtsextremistische Skinheads“ verurteilt, die eine Volksabstimmungsinitiative der Sozialistischen Partei verhindert hätten (vgl. BudaPost vom 25. Februar) und sich für ein Zwangsräumungsmoratorium ausgesprochen, das sicher in großer Zahl Roma betreffen würde. Eine kurzfristige Kooperation der gemäßigten Linken und der extremen Rechten sei in Osteuropa durchaus nichts Neues, notiert Miklós Gáspár Tamás, warnt allerdings auch, dass eine derartig große Koalition eine „moralische Katastrophe“ wäre und die wenigen überlebenden Tugenden der Wende des Jahres 1990 komplett vernichten würden.

In Népszabadság äußert sich Gyula Hegyi zu diesem Thema. Der ehemalige sozialistische Abgeordnete des ungarischen und später des Europäischen Parlaments erkennt eine systematische Tendenz, der zufolge Jobbik- und MSZP-Anhänger in bestimmten ärmeren Regionen des Landes für die jeweils andere Partei stimmen würden. Dies gelte vor allem für den „Rostgürtel“ um Miskolc, wo sich die Schwerindustrie nie vom wirtschaftlichen Einbruch nach dem Fall des Kommunismus in Ungarn habe erholen können. Die Mehrheit der Jobbik-Wählerschaft dieser Regionen setze sich aus Menschen zusammen, die von der Art und Weise frustriert seien, wie einstige sozialistische Regierungen die Arbeiterschaft abgeschrieben und Fabriken sowie landwirtschaftliche Staatsgüter geschlossen hätten. Hegyi glaubt, dass es gar nicht so aussichtslos sei, dass die Sozialisten die Unterstützung dieser Massen zurückgewännen. In diesem Sinne wäre es aber sicher nicht hilfreich, Jobbik-Wähler als „Faschisten“ zu beschimpfen, urteilt Hegyi abschließend.

Ein weiterer Artikel der linksorientierten Tageszeitung stammt aus der Feder des bekannten Politologen Zoltán Lakner. Er macht darauf aufmerksam, dass dieses gegenseitige Wählen den „demokratischen Parteien“ nicht immer guttun würde. Vielmehr könnte Jobbik das Beste aus der Situation für sich herausholen, glaubt der Autor, der in diesem Zusammenhang auf das Auseinanderbrechen des slowakischen Parteiensystems als ein mögliches politisches Szenario auch für Ungarn verweist (vgl. BudaPost vom 8. März). Eine solche „technische Koalition“ von Oppositionsparteien könnte auf einem gegen Orban, gegen die Korruption, gegen Migranten und zugunsten sozialer Sicherheit ausgerichteten Wahlkampf basieren, glaubt Lakner.

Heftige Kritik erntet der hvg.hu-Artikel von Miklós Gáspár Tamás auf Nézőpontok. Der Blog wird vom Nézőpont-Institut betrieben, einer dem Fidesz nahestehenden Denkfabrik. Autor Dániel Deák bezeichnet die Gedanken von Tamás als jüngste Manifestation der linksliberalen „Orbánophobie“. Die „Idee“ einer technischen Koalition sei gar nicht neu, erläutert der Autor und verweist auf eine entsprechende Anregung von Seiten des LMP-Abgeordneten Gergely Karácsony, der sich bereits 2011 für eine solche Übergangsallianz ausgesprochen habe. Die Linke habe keine Probleme damit, ihre jeweiligen Haltungen an ihre Interessen anzupassen und sich einen Augenblick später eine Koalition von Fidesz und Jobbik auszumalen. Deák interpretiert derartige Forderungen als Anzeichen dafür, dass sich die Linke und deren intellektuelle Clique auf eine Wahlniederlage im Jahre 2018 vorbereite und sich sehr bewusst sei, dass die Mehrheit des Wahlvolkes ihre Politik ablehne. Wie dem auch sei, eine Koalition wie die von Miklós Gáspár Tamás eingebildete würde inmitten einer Migrationskrise binnen weniger Stunden auseinanderbrechen, da sich die Beteiligten laut Deák nicht einmal auf den Unterschied zwischen einem Flüchtling und einem illegalen Einwanderer verständigen könnten.

LMP-Chef András Schiffer widerspricht der Äußerung von Miklós Gáspár Tamás über den „Tratsch in der Stadt“ in einem sarkastischen Posting auf seiner Facebook-Seite. Darin heißt es unter anderem: „Jeder von uns kann Unsinn daher quatschen, wenn uns danach zumute ist.“ Auch der ehemalige Chef der MSZP, Attila Mesterházy, nutzt Facebook als Sprachrohr. Er bezeichnet das Vorhaben als haarsträubend dumm. Sein Facebook-Eintrag endet mit einem Satz, der lediglich aus einem Wort besteht: „Niemals.“

Abschließend soll noch einmal der so heftig gescholtene Miklós Tamás Gáspár zu Wort kommen. Im Blog von Dinamó Műhely, einer Gemeinschaft, „die sich der Erneuerung der linken Politik in Ungarn auf die Fahnen geschrieben hat“, bezeichnet er am Donnerstag die Reaktion Mesterházys als beruhigend. Die Antwort Schiffers hingegen billigt Tamás nicht und moniert, er könne keine klare Ablehnung seitens der LMP erkennen. Allerdings sei die Sache auch mit der Antwort Mesterházys nicht erledigt, denn die gegenseitig Annäherung der linken und rechten Parteien „ereignet sich tiefer“ als lediglich auf parteipolitischer Ebene.

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