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Orbáns außenpolitischer Kurs heiß diskutiert

23. Feb. 2015

In Hinblick auf die außenpolitische Strategie der ungarischen Regierung werfen die meisten linken und liberalen Kommentatoren Ministerpräsident Viktor Orbán vor, er betreibe einen Ausverkauf des Landes an Moskau. Rechte Beobachter verteidigen dagegen die pragmatische und an einem Ausgleich orientierte außenpolitische Vision der Regierung. Einige in der politischen Mitte beheimatete Analysten geißeln gedankenlose Übertreibungen und ideologisch motivierte Perspektiven auf beiden Seiten.

Nach dem Besuch des russischen Präsidenten Wladimir Putin in Budapest umriss Regierungschef Viktor Orbán am Mittwoch bei einem Treffen mit ungarischen Journalisten seine außenpolitische Vision. Nach Angaben von Heti Világgazdaság und Népszabadság stellte Orbán bei dieser Gelegenheit fest, dass mit Blick auf die Ukraine-Krise und Russland innerhalb der Europäischen Union ein Dissens herrsche: Während die Baltischen Staaten sowie Polen Moskau isolieren wollten, handele es sich bei Deutschland und Frankreich um Verfechter eines eher integrativen Ansatzes. Hinsichtlich der USA beklagte Orbán, Washington verfolge in jüngster Zeit eine Strategie, der zufolge man sich eher der amerikanischen Führung unterwerfen sollte, anstatt dass Washington mit seinen Partnern zusammenarbeite. Dessen ungeachtet lobte Orbán die neue US-Botschafterin in Budapest, Colleen Bell, deren Einstellung er als weniger ideologisch motiviert bewertete als die des ehemaligen Chargé d’Affaires André Goodfriend. Ministerpräsident Orbán räumte ein, dass es sich bei den Beziehungen seines Landes zu Russland um ein „schwieriges Problem“ handele, doch fügte er auch hinzu, „ohne Zusammenarbeit mit Russland würde es Ungarn schlechter gehen“.

Népszabadság unterstellt dem Ministerpräsidenten, er lasse sich lediglich von seinen Interessen anstatt von Prinzipien leiten. In einem Leitartikel werden die jüngsten diplomatischen Bestrebungen zugunsten einer Kooperation mit Russland als Versuch gewertet, sich aus der Abhängigkeit der westlichen Verbündeten Ungarns zu befreien. Für Regierungschef Orbán existierten nur wirtschaftliche Gründe für die Aufrechterhaltung guter Beziehungen zur EU, glaubt Népszabadság und behauptet, dass der Ministerpräsident „die demokratischen und von Prinzipien geleiteten Bemühungen der EU“ um eine Beschränkung seiner Macht hassen würde.

In Népszava sagt Tamás Mészáros voraus, dass die Bemühungen Orbáns um einen Spagat zwischen Russland und der EU langfristig betrachtet zum Scheitern verurteilt seien. Russland sei an Ungarn nur so lange interessiert, wie es aus einer derartigen Zusammenarbeit Vorteile für sich herausschlagen könne. Falls Moskau aber damit scheitern sollte, die EU-Länder zu polarisieren, werde Ungarn rasch isoliert in Europa dastehen. Mészáros geht davon aus, dass das Gaslieferabkommen sowie andere zwischen Putin und Orbán abgeschlossene Vereinbarungen (vgl. BudaPost vom 19. Februar) Ungarn keine wirklichen Vorteile bescheren würden.

Es sei falsch, Prinzipien auf dem Altar wirtschaftlicher Vorteile zu opfern, schreibt Gergely Szilvay auf Mandiner. In einem Kommentar zur Warschau-Visite Orbáns (vgl. BudaPost vom 21. Februar) räumt der konservative Analyst ein, dass es sich bei Russland um eine Großmacht handele, die zudem wichtig für Ungarn sei. Vor dem Hintergrund der aktuellen geopolitischen Lage jedoch könne die ungarische Regierung Moskau gegenüber nicht freundlich gesinnt sein und erwarten, dass gegenteiliges Agieren von den EU-Mitgliedsländern nicht heftig kritisiert werde. Anstatt sich auf die Seite Russlands sollte sich Ungarn an die Seite Europas und der Nato stellen, fordert Szilvay.

„Die Besuche von Merkel und Putin haben Ministerpräsident Orbán gestärkt“, glaubt Gábor Török. Der in der politischen Mitte beheimatete Analyst macht geltend, dass Bundeskanzlerin Merkel gegenüber dem ungarischen Ministerpräsidenten weniger kritisch eingestellt sowie auch die Putin-Visite weniger prekär gewesen sei, als viele auf Seiten der Linken gehofft hätten. Bei seinen öffentlichen Auftritten „ist Orbán anstatt schwach und verletzlich stark und bedeutend erschienen“. Allerdings ist sich Török nicht sicher, ob sich die beiden Besuche langfristig als nützlich erweisen werden.

István Lovas von Magyar Hírlap unterstreicht, dass das zwischen Putin und Orbán ausgehandelte Gaslieferabkommen Ungarn ein Ersparnis von bis zu sieben Milliarden US-Dollar bescheren dürfte. Der regierungsfreundliche Kolumnist vergleicht die Bemühungen Orbáns um einen Balanceakt zwischen Moskau und dem Westen mit der Strategie Titos im Kalten Krieg. Durch ein Verbleiben in der Mitte habe Tito die Großmächte auf Abstand halten und einen blühenden halb-westlichen Staat aufbauen können.

In der gleichen Tageszeitung wirft Zsolt Bayer den linken und liberalen Kritikern vor, sie dienten ausländischen Propagandainteressen, da sie fälschlicherweise behauptet hätten, dass Putin der beim Ungarnaufstand 1956 getöteten Sowjetsoldaten gedacht habe (vgl. BudaPost vom 19. Februar). Der regierungsfreundliche Kommentator ruft einen Bericht der New York Times in Erinnerung, wonach die ungarische Regierung versucht habe, die Budapest-Visite Putins so niedrig wie nur möglich zu hängen.

Ministerpräsident Orbán habe eine starke Botschaft ausgesandt, der zufolge er nicht zu einem unterwürfigen Vasall der USA mutieren werde, kommentiert gleichfalls in Magyar Hírlap Gyula T. Máté die außenpolitischen Strategie des Regierungschefs. Der konservative Beobachter glaubt, dass sich Ministerpräsident Orbán Gedanken über die ungarische Souveränität mache, und zwar sowohl als er sich in den 1990er Jahren vehement für eine Präsenz der USA in Ungarn ausgesprochen hatte als auch jetzt bei seinen Bemühungen um eine „Öffnung Richtung Osten“. Orbán wolle die ungarischen Interessen verteidigen, wenn er nicht bereit sei – wie von Washington erwartet – feindselig gegenüber Moskau aufzutreten.

Liberale und Linke seien von einer „Kriegspsychose“ infiziert, vermutet Albert Gazda von Cink. Der liberale Kommentator hält es für befremdlich, dass sowohl Liberale als auch Linke Russland um jeden Preis „zerstören und besiegen“ sowie entsprechende Hoffnungen auch mit Blick auf Ministerpräsident Orbán äußern würden, den sie als einen unkritischen Vasall Putins betrachteten. Gazda fragt sich, wie extrem diese Paranoia noch werden würde, falls Ungarn direkt in die Ukraine-Krise hineingeriete. Ohne eine Kooperation mit Russland, räumt Gazda abschließend ein, ließen sich in Europa weder politische und wirtschaftliche Stabilität noch Sicherheit aufrechterhalten.

Für Róbert Friss von Népszava ist es eine Enttäuschung, dass der Besuch von Präsident Putin die Spaltung zwischen der ungarischen Linken und Rechten weiter vertieft hat. Während sich die Rechte in Russland verliebt habe und die Vorteile einer Zusammenarbeit mit Putin übertrieben darstelle, würde die Linke „Russland von der Erde radieren“, und zwar durch Wirtschaftssanktionen – wenn nicht sogar mit Hilfe von Waffen, notiert der linke Kolumnist.

Es sei absurd, wie Linke und Rechte ihre Sympathien und Antipathien gegenüber Russland vertauscht haben, heißt es in einem Leitartikel von Mandiner. Die einstmals zutiefst antikommunistische und antirussische Rechte sei mittlerweile Pro-Putin, während die Linke, die zeitgenössische antikommunistische Rhetorik mit dem Rechtsradikalismus gleichgesetzt habe, nunmehr auf eine antirussische Linie eingeschwenkt sei. Dieser sonderbare Tausch der Haltungen gegenüber Russland belege, dass die jeweils Regierenden offenbar stets gemäßigter und an Interessen orientiert agierten, während die Opposition eher einen von Prinzipien geleiteten antirussischen Kurs einschlüge, beobachtet Mandiner.

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